Das Leben ist zu kurz
für eintönige Musik.

Platte der Woche

Coverbild: 
KW23 06.06. - 12.06.2016

Ash & Ice

Artist: 
The Kills
Erschienen: 
02.06.2016
Label: 
Domino Recording

Im Verlauf ihrer knapp eineinhalb Dekaden währenden Karriere haben die beiden facettenreichen Rockminimalisten von The Kills vier Alben veröffentlicht: rastlose, rücksichtlose und rätselhafte Statements ihrer Kunst, geprägt von innerer Spannung und Unruhe, von Sex, ungezwungener Coolness und nicht immer ernst zu nehmendem Ennui. Doch kein Album klang im Entferntesten wie das vorherige. „Da wir bemüht sind, uns nie zu wiederholen, sind wir auch nie den Weg des geringsten Widerstands gegangen. Veränderung ist unbequem und Kunst sollte ebenfalls unbequem sein.“, erklärt Alison Mosshart. Sie sitzt an einem langen Holztisch in dem von ihr gemieteten Haus oberhalb des Griffith Parks von Los Angeles, in dem sie seit einem Monat Tür an Tür mit ihrem musikalischen Partner Jamie Hince lebt.

Genau dort haben die durch eine besondere Seelenverwandtschaft verbundenen Freunde nun ihr lang erwartetes, fünftes Album vollendet: Ash & Ice, das am 3. Juni (Domino) erscheint. Im Gegensatz zu früheren Alben, die zum großen Teil im Key Club Studio in Benton Harbor, Michigan geschrieben und aufgenommen wurden, entstand das neue Werk unter ebenso weitläufigen wie langwierigen Bedingungen in dem erwähnten Haus in Los Angeles (wo mobiles Equipment von Jamie und aus dem Key Club Studio eingesetzt wurde) und in den weltberühmten Electric Lady Studios in New York. Der Startschuss fiel zwar schon vor drei Jahren, doch als sich Hince einen Finger brach, wurde das Projekt erst einmal auf Eis gelegt. Der erste Arzt behandelte ihn mit einer Kortison-Spritze, die eine schmerzhafte Reaktion hervorrief und dem Gitarristen schlaflose Nächte, unverhältnismäßige Qualen und den Verlust einer Sehne seiner Hand bescherte. „Er konnte keine Gitarre mehr spielen“, erzählt Mosshart. „Er fing dann an, sich all diese lustigen Instrumente zu kaufen, die man nur mit einer Hand bedienen kann.“ Aber die Vorstellung, dass er nie mehr Gitarre spielen könne, war so unerträglich, dass Hince noch einen anderen Arzt aufsuchte. Fünf Operationen später und nach einer Auszeit bis zur vollkommenen Genesung war Hince wieder bereit zu arbeiten, allerdings erst, nachdem er gelernt hatte, auch ohne den betroffenen Finger Gitarre zu spielen. In den 18 Monaten der Rekonvaleszenz begann er auch mit den ersten Entwürfen für Songs, die auf das neue Album kommen sollten, darunter jener Song, der dem Album seinen Titel gibt.

„Einer der ersten Songs, den er für das Album ins Spiel brachte, hieß 'Ash & Ice,' und wir liebten allein schon den Titel“, so Mosshart. „Ich nehme an, er saß in einer Bar, war auf einer Party oder bei jemandem zuhause, wo die Leute einfach in ein Glas mit Eis geascht haben, was man halt am Ende so einer Nacht macht.“ Soweit sich Hince erinnern kann, war er selbst es, der die Asche auf das Eis schnippte. „Ich hatte mir einen Drink genehmigt und warf meine Zigarette in ein mit Eis gefülltes Glas, so einfach war das. Mir gefiel die Vorstellung, dass da zwei entgegengesetzte Seelen zusammenkommen, oder das Bild von jemandem, der in der einen Hand einen Joint und in der anderen einen Drink hält.“ Mosshart gefielen diese Konnotationen ebenfalls. „Ich mochte diese gegensätzlichen Begriffe wie schwarz und weiß, heiß und kalt und so weiter. Da steckt alles Mögliche drin und am Ende vielleicht nichts außer einer Erinnerung, einer Zigarette in einem Glas Eis.“ Der Song selbst wurde letztendlich umbenannt und heißt nun „Let it Drop“, der Albumtitel wurde jedoch beibehalten.

Mosshart blieb in der Zeit, in der sich ihr Partner von den Operationen erholte, keineswegs untätig: Sie nahm ein Album mit The Dead Weather auf, ihrem Nebenprojekt mit Jack White, und widmete sich ausgiebig der Kunstmalerei. Sie hatte schon immer gemalt, selbst backstage, wenn sie mit den Kills auf Tour war – vorausgesetzt, dass alles Nötige in ihren Koffer passte. Nachdem sie dann vor ein paar Jahren nach Nashville gezogen war, bezog sie dort ein geräumiges Studio, das es ihr erlaubte auf größeren Leinwänden zu arbeiten. Das führte schließlich zu ihrer ersten großen Einzelausstellung in der New Yorker Joseph Gross Galerie. Unter dem Titel „Fire Power“ wurden 127 ihrer Gemälde, Zeichnungen, Mixed-Media-Arbeiten und Bildteppiche präsentiert. Das hieß noch lange nicht, dass Mosshart ihre Band links liegen ließ. Allein in den letzten paar Jahren hat sie um die 120 Songs geschrieben. Aber das Songschreiben war noch nie ein Problem für Mosshart: Sie schreibt schnell und furchtlos, denkt nicht lange nach, lässt die Songs einfach kommen, mal inspiriert von einem aufgeschnappten Gespräch, mal von einer Stimmung, einer Person oder dem Klang des Blinkers, wenn sie ihr Muscle-Car durch den Verkehr steuert. Was wirklich viel Zeit kostet, ist, unabhängig voneinander zu schreiben und das alles zu einer geschlossenen Einheit umzuwandeln. Mosshart erklärt das bildlich: „Wenn Ash & Ice ein Gemälde wäre, wäre es unglaublich komplex. Es sähe aus, als hätte man es immer und immer wieder übermalt. Es würde ganz fett an der Wand hängen und geradezu aus seinem Rahmen quellen.“

Hince hingegen erklärt an dem Song ihre einzigartige und häufig falsch interpretierte Beziehung: „Ich habe noch immer das Gefühl, dass wir gegen die ganze Welt kämpfen, und ich würde für diese Frau durchs Feuer gehen. Ich finde sie wirklich absolut fantastisch und empfinde für niemand anderen eine derart tiefe Freundschaft. Wenn sie für
etwas eine besondere Leidenschaft entwickelt, heißt es: alles oder nichts. Und das liebe ich an ihr. Wir sind beide kreativ und begeisterungsfähig, aber wir treten auch gegeneinander an und das ist ebenso wichtig. Wir sind zwei kleine reaktionäre Geister, die versuchen, Kommunisten zu sein ... Ich denke, wir haben ein recht gesundes Konkurrenzdenken. Manchmal streiten wir uns über irgendetwas, denn manchmal muss man eben richtig kämpfen, um sich durchzusetzen. Ich glaube, wenn es um Musik geht, muss man vorsichtig sein, dass man sich nicht zu sehr anpasst. Kompromisse sind der größte Feind für jeden Künstler und synchron zu arbeiten kann sich auf jedes kreative Unterfangen desaströs auswirken.“

„Ich würde nicht behaupten, dass wir wirklich gegeneinander kämpfen“, hält Mosshart dem entgegen. „Es ist eher ein kreatives Ringen. Meine Songs sind meistens sehr unterschiedlich von denen, die er so einbringt, und The Kills sind letztlich eine Kombination aus beiden. Gerade das finden wir so überaus interessant.“

Man sagt, dass auch eine Reise von 1000 Meilen mit dem ersten Schritt beginnt, und im folgenden Falle handelt es sich sogar um eine Reise von 6000 Meilen: Um wieder in Stimmung zu kommen, neue Songs zu schreiben, entschloss sich Hince zu einer Fahrt mit der legendären Transsibirischen Eisenbahn, die sieben Zeitzonen durchquert. „Ich wollte einfach ganz allein für mich irgendwo hin und herausfinden, was in mir steckt. Ich nahm einfach meine Gitarre, alle meine Notizbücher und eine Kamera mit. Der erste Song, den ich schrieb, war ‘Siberian Nights.’ Ich hatte diese Vision von einem ganz eisigen, paranoiden Album, während ich durch Sibirien reiste. Aber der Rest der Songs handelt dann doch eher von Gefühlen und inneren Kämpfen.

Das allerdings ist eine Seltenheit bei den Kills. Ihre frühere Alben verbreiteten eher eine Aura von Abgeklärtheit, eine emotionale Nüchternheit respektive eine innere Ambivalenz bezüglich von Gefühlen, die von Selbstzweifeln und unterdrückter Wut gekennzeichnet waren. Die 13 Songs auf „Ash & Ice“ sind subtiler, nicht so ungestüm und gerade deswegen umso berührender. In ihnen spiegeln sich jene inneren Kämpfe wider, denen man ausgeliefert ist, wenn man eine komplizierte und kraftzehrende Beziehung führt. „Ich bin eigentlich ein sehr zurückhaltender Mensch, der sich eher ungewollt in der Öffentlichkeit befindet. Aber diesmal hatte ich das Gefühl, dass ich beim Songschreiben mehr von mir preisgeben sollte, auch wenn mich das verwundbar machen würde. Ich wollte in den Songs nicht unbedingt mein Herz ausschütten, aber irgendwie hat es mich dann doch mitgerissen.“

Im Laufe der Aufnahmen in dem von Jamie angemieteten Haus und in den Electric Lady Studios in Manhattan erwies sich der Feinschliff der Songs und das Perfektionieren ihrer Ideen als der schwierigste Teil des kreativen Prozesses. Mosshart führt das noch genauer aus: „Ein Album ist letztendlich das Resultat sich fortlaufend verändernder Ideen. Bis man zu einer geschlossenen Einheit gefunden hat, passiert von Anfang bis Ende sehr viel. Als wir mit den Albumaufnahmen begannen, gingen all die Songs, die ich hatte und die, wie ich dachte, auf dem Album sein würden, in einem Meer von hunderten von anderen Songs unter, aber sie sind doch alle Teil dieser Einheit. Man nimmt das nur nicht wahr, weil das alles nur unterschwellig präsent ist, wie man an diesen Punkt kommt, ob deine Songs bestimmte Erwartungen erfüllen und wie sich deine Ideen verändern. Am Ende ist sie dann da, diese flache Scheibe, die jeder in seiner Hand halten und spielen kann, ohne dass man mitbekommt, was da noch alles im Hintergrund abläuft. Aber gerade das ist fantastisch, das nenne ich Magie.“

Ash & Ice, diese am Ende entstandene ‘flache Scheibe’ ist, so Hince, „das bahnbrechendste Album, das wir jemals in Angriff genommen haben“. Von der Transsibirischen Eisenbahn über die Hügel von Hollywood bis New York, London und Nashville führte die Kills diese epische Klangreise, auf der sie alle Gedanken an frühere Aufnahmen ebenso verworfen haben wie ihre ursprünglichen Vorstellungen davon, was es für sie eigentlich bedeutet, eine Gitarrenband zu sein. Beide Musiker vereint das Gefühl, dass sie am Ende der Aufnahmen nicht mehr dieselben Persönlichkeiten sind wie zu Beginn. Hince zieht ein Fazit: „Dies ist in keiner Weise ein Album, das eine Retrospektive, eine Rückschau darstellt. Im Gegenteil: Es markiert eher eine Flucht vor der Vergangenheit. Dies ist ein Album aus dem Hier und Jetzt, ein zukunftsweisendes Werk.“

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