Das Leben ist zu kurz
für eintönige Musik.

Platte der Woche

Coverbild: 
KW11 | 09.03. bis 15.03.2015

Hinterland

Artist: 
Lone Lady
Erschienen: 
19.03.2015
Label: 
Warp Records / Roughtrade

LoneLady ist Julie Campbell und Julie Campbell ist LoneLady – will heißen: Ihr Alter-Ego ist keine abstrakte Kunstfigur, keine aufgesetzte Fassade, stattdessen steht ihr Name vielmehr für eine Symbiose von Künstlerin und Werk, die in poetischen, zutiefst persönlichen, sich niemals anbiedernden Tracks zum Ausdruck kommt, denen etwas Zeitloses anhaftet. HINTERLAND, ihr neues Album, kommt wie ein Donnerkeil aus dem Dunkel angeschossen: Im Kern davon pulsieren ein schlichter Drummaschinen- Beat und synthetische Sounds, die vage an Minimal Wave und sogar frühen Techno erinnern, während LoneLadys druckvolles Gitarrenspiel die Stücke vorantreibt und zusammenhält.

„Inspiriert ist das neue Album von Parliament/Funkadelic, von Stevie Wonder, Prince und Arthur Russell, um nur ein paar Namen zu nennen. Es ist eine schräge – aber trotzdem wahrhaftige – Begegnung von Funk und, nun ja, mir selbst, Julie Campbell aus Audenshaw/Manchester.“

Zugleich hört man sofort, dass LoneLadys Obsession mit postindustriellen Ruinenlandschaften, mit der Architektur des Brutalismus, mit Psychogeographie noch ausgeprägter ist als das zuvor der Fall war – was sicher auch der Tatsache geschuldet ist, dass sie nun mal in Manchester lebt, in einem Betonsilo direkt neben der Stadtautobahn, dem Mancunian Way.

„Ich musste diese Umgebung einfach auch auf dem Album evozieren, in den morschen, dekonstruierten Texturen und den trostlos-geisterhaften Atmosphären.“

Allerdings verpasst LoneLady ihrem einst kargen Soundbild auf HINTERLAND auch sehr viele neue Schattierungen und vergleichsweise kaleidoskopische Dimensionen. Campbell spielte dafür sämtliche Instrumente selbst ein, mit Ausnahme von Schlagzeug-Parts, und produzierte HINTERLAND auch, vom Feinschliff abgesehen, größtenteils selbst in ihrem eigenen Homestudio.

Nichtsdestotrotz ist HINTERLAND immer noch mit jenem Statement verwandt, das Nerve Up war, ihr 2010 veröffentlichtes Debütalbum, denn viele der Kernthemen tauchen auch hier wieder auf – sie sind nur in anderen Mustern arrangiert, mit anderen Farben unterlegt, und es gibt Stimmen, die neu dazugekommen sind.

„Ich nahm Songs und Ideen in meinem Homestudio mit einem 8-Spur-Kassettenrekorder von Tascam auf... und während ich dann obsessiv an den ganzen Details arbeitete und die Klangwelt der einzelnen Stücke weiter ausbaute, wurde mir irgendwann klar, dass diese Stücke so schon diese Intimität hatten, dass sie so schon irgendwie vollkommen waren. Ich fand es unnötig, überhaupt den Versuch zu starten, davon eine nüchterne Kopie in einem ‘richtigen’ Studio zu machen. Denn professionelle Studios sind manchmal ganz schön steril, und da kann die Magie eines Stücks auch schnell mal unter die Räder kommen.“

Obwohl die Songs also größtenteils im Kasten waren, konnten sie noch etwas mehr Tiefgang und Nachdruck vertragen. Zutaten, die sie im entlegenen Keyclub Recording Co.-Studio fand, einem analogen Aufnahmestudio, das in einer Industrieregion von Michigan liegt.

„Ich bin im Oktober 2013 das erste Mal hingefahren, und dann war ich im Januar 2014 noch einmal da, als die ‘Polar Vortex’-Kältewelle gerade die USA erreicht hatte. Beide Reisen waren richtige Abenteuer; die Entfernung nach Hause war befreiend und lösend und gab mir für die Abschlussphase noch mal neue Energie. Als ich in Michigan ankam, fühlte ich mich ehrlich gesagt gleich wie zu Hause.“

Bill Skibbe, ein ehemaliger Motorradmechaniker aus Detroit (zusammen mit Steve Albini zugleich ein Mitbegründer von Electrical Audio in Chicago), der das Keyclub Recording Co.-Studio mit seinen eigenen Händen und viel Liebe aufgebaut hat, hortet dort unzählige Schätze – Vintage-Synthesizer, Bandmaschinen, Drummaschinen, alte Verstärker...

„Ödland, endlose Weizenfelder, Dämpfe, die aus industriellen Monolithen aufsteigen, Silos und Stahlwerke, schnurgerade Straßen, die sich durch Michigan, Illinois, Minneapolis, Idaho, Dakota ziehen... wo in einer Industriewüste Manchester auf Michigan trifft, in einem Spiegelland.“

„Ein wahnsinnig angenehmes Umfeld war das für mich, und mit Bill war ich künstlerisch absolut auf derselben Wellenlänge. Ich wusste einfach, dass er mir mit viel Feingefühl dabei helfen würde, die Songs fertigzustellen – ohne ihnen etwas überzustülpen oder ihr Wesen zu zerstören. Zwischendurch suchten wir andauernd irgendwelche YouTube-Clips raus, um sie dem anderen zu zeigen, z.B. Sharevari im The Scene, das zerfetzte ‘Loopzilla’, John Carpenters ‘Assault on Precinct 13’ und so weiter...

Ich hatte dort die Gelegenheit, einen Linn LM-1-Drumcomputer zu benutzen (wie Prince früher), und dazu diverse Vintage-Schlagzeuge und -Synthies, sogar einen ARP2600. Obwohl diese Instrumente gar nicht mal unbedingt im Vordergrund meiner Arrangements stehen, finde ich, dass diese analogen Schichten den Stücken sehr viel mehr Tiefe und Charakter gegeben haben. Und das Mischpult, mit dem wir gearbeitet haben, war ein Flickinger aus den Siebzigern, das schon einen früheren Besitzer gehabt hatte – Sly Stone. Während meine Musik also durch diese historischen Drähte und Signalpfade geschickt wurde, wer weiß was für magischer Staub, was für Gen-Partikel daran noch alles haften geblieben sind?“

„Privater Pop-Spuk im Bunker... Songs in einer inneren Welt aufzunehmen. Einsiedlerin in einer von mir selbst erdachten Landschaft zu werden, die komprimiert und eindringlich wirkt. Am selben Platz zu schlafen und zu arbeiten. Innerlichkeit zu einer Tugend zu erklären.“

Rastloses Suchen und unterschiedliche Landschaften sind die Kernthemen ihres neuen Albums – daher auch der aus dem Deutschen entliehene Titel HINTERLAND. Mal ist es das Land, in dem man als Kind lebt, mal sind es Geisteslandschaften, imaginierte Territorien, die man selbst auf die nackte Wand projiziert. Im Verlauf des Albums tauchen immer wieder Bilder von Manchesters Randbezirken auf, die sie mit den Innenräumen der eigenen Psyche verschränkt.

„Hinterland basiert auf einer Palette von atmosphärischen Störungen, schillernden Pop-Elementen und der strikten Ökonomie des Seventies-Funk, betrachtet durch ein zementfarbenes, nordenglisches Objektiv. Jubelstimmung und ein Gefühl der Heimsuchung werden einander gegenübergestellt.“

Frühere Platten der Woche