Das Leben ist zu kurz
für eintönige Musik.

Platte der Woche

Coverbild: 
KW06 06.02. - 12.02.2017

Jardín

Artist: 
Gabriel Garzón-Montano
Erschienen: 
26.01.2017
Label: 
Stones Throw / Groove Attack

Die Karriere von Gabriel Garzón-Montano hatte bereits massiv Fahrt aufgenommen, als ihm das geschah, was man in der Hip-Hop-Welt wohl als den „Drake-Effekt“ bezeichnet. Die gefeierte Debüt-EP „Bishouné: Alma del Huila“ hatte dem aus Brooklyn stammenden Singer/Songwriter und Multiinstrumentalisten hervorragende Kritiken beschert, und er war gerade mit Lenny Kravitz (!) auf Tour, als ihn die große Neuigkeit erreichte: „Ich hätte ja nie gedacht, dass es da eine Schnittmenge gibt für uns“, so der junge Singer/Songwriter über die Tatsache, dass Drake vollkommen überraschend ein Sample aus dem Song „6 8“ für dessen eigenen Track „Jungle“ verwendet hatte – womit Garzón-Montano schlagartig in aller Munde war. „Als Fan hörte ich seine Sachen natürlich, aber dass daraus dann mal eben so eine Zusammenarbeit werden sollte, fühlte sich einfach vollkommen surreal an.“

Sein ganzes Können präsentiert Gabriel Garzón-Montano nun auf seinem kommenden Debütalbum „Jardín“, das bei Stones Throw Records erscheint: „Dieses Album basiert letztlich auf dem Wunsch, Musik zu präsentieren, die die Menschen daran erinnert, wie schön das Leben ist, wie zerbrechlich unsere Herzen sind“, so der Multiinstrumentalist. „Ich wollte schon immer Songs machen, die etwas Heilendes haben. Die sich gut anfühlen, Trost spenden – und dabei funky sind! Den Titel ‘Jardín’, also Garten, habe ich gewählt, weil die Songs einen solchen Raum eröffnen sollen, sobald man die Platte auflegt: Einen Freiraum, der einem guttut.“

Musik, die genau das bewerkstelligt, begleitet Garzón-Montano schon sein ganzes Leben. Das erste Instrument war für ihn die Geige, und er erinnert sich gerne zurück an sein Elternhaus, in dem auch ein Klavier, ein Cello und diverse Percussion-Instrumente vertreten waren. „Meine Mutter ist der Grund dafür, dass ich so musikverrückt bin“, gesteht er. Diese war Mezzosopranistin, beherrschte Klavier und Cello, und im Philip Glass Ensemble spielte sie in den Neunzigern nicht nur Keyboard, sondern sang zudem. „Eine meiner liebsten Kindheitserinnerungen ist folgende: Ich lag unter Philips Klavier und hörte ihm beim Proben zu... und irgendwann brüllte ich los und sagte ihm ganz offen, dass sich seine Komposition einfach nur ‘langweilig’ fand“, lacht Garzón-Montano heute.

Das Spektrum aus Klassischer Musik, Avantgardeeinflüssen und E-Musik wurde erweitert, als seine Mutter ihm schließlich auch die Beatles vorspielte. Mit 12 wandte er sich dann von seinen eher formalen Studien ab und nahm – inspiriert von Nirvana – „die Musik mit in den Keller“, wie er sagt. Weitere drei Jahre später hörte er zum ersten Mal jene beiden Alben, die seither zu seinen persönlichen Favoriten zählen: „Ready to Die“ von Biggie und „Sign o’ the Times“ von Prince. „Damit eröffnete sich für mich das gesamte Spektrum, die ganze Sprache des R&B.“ Er hatte nun seine Frequenz gefunden, jagte ab sofort seinen eigenen Musen hinterher...

Während die 2014 veröffentlichte „Bishouné“-EP Songs vereinte, die kurze Zeit nach dem College entstanden waren, in einer Zeit der Ängste und Unsicherheiten also, nahm sich Garzón-Montano sehr viel mehr Zeit für die 10 Stücke, die auf „Jardín“ versammelt sind – und sie klingen sehr viel selbstbewusster und zuversichtlicher. „Drei Jahre lang habe ich an diesen Songs geschrieben“, erzählt er. „Bei manchen ging alles Schlag auf Schlag, aber es gab auch Songs, bei denen sich eine Schicht nach der anderen ablagern musste, bis ich sie dann schließlich nehmen und abschließen konnte.“ Die Liebe und damit verbundene Emotionen spielen schon deshalb eine zentrale Rolle auf der LP, weil er in dieser Zeit zwei komplette Beziehungen durchlebte, um während der eigentlichen Aufnahmen noch eine dritte Beziehung anzufangen...

Dazu kamen ihm Zweifel, ob er die Musik, die ihm im Kopf vorschwebte, jemals aufnehmen können würde – obwohl alles ja so gut lief mit den großen Auftritten im Vorprogramm von Lenny Kravitz, der Tatsache, dass sein „6 8“ dank Drake rund um den Globus gehört wurde: „Eine depressive Phase war das, in der ich mich sogar fragte, ob ich überhaupt weitermachen konnte mit der Musik“, gesteht er rückblickend. „Gerade das Tour-Leben führte dazu, dass ich mit meiner eigenen Musik nicht wirklich weiterkam und mich zunehmend unmotiviert fühlte. Ich war einfach niedergeschlagen und fühlte mich auch ganz schön einsam.“

Von dem satten Mix aus Beats, Streichern, Klavier und Claps, das „Sour Mango“ vorantreibt, bis hin zu den Papier-Percussion-Sounds von „Long Ears“, sollten ihn die Songs von „Jardín“ letztlich auch aus diesem Loch herausholen. Nahezu jedes Instrument (mit Ausnahme der Streicher) hat er selbst eingespielt, und für seine Texte bediente er sich bei recht überraschenden, nicht gerade zeitgenössischen Quellen: „‘Also Sprach Zarathustra’ von Nietzsche und ‘Les Illuminations’ von Rimbaud las ich zum Beispiel, um so eine ganz neue Sprache in den Kopf zu bekommen“, erzählt Garzón-Montano. „Am liebsten lese ich beim Pendeln. Mache mir unterwegs Notizen. Wirklich viel gelesen und geschrieben habe ich im C Train zwischen der Kingston Throop-Station in Brooklyn und der 72. Straße in Manhattan.“

„Ein Garten ist voller Leben, alles wächst darin und ist schön daran“, sagt Gabriel Garzón-Montano abschließend über das Bild, das er als Albumtitel gewählt hat. „Ich muss dabei automatisch an die ganzen Farben denken, das Grün, das Weiß, das ganze bunte Farbenmeer der Blumen.“ Ähnlich farbenfroh und facettenreich ist auch sein „Jardín“ geworden, der immer wieder auf verschiedene Früchte verweist – von „Sour Mango“ bis hin zu saftigen Mandarinen... Parallel dazu eröffnet der Singer/Songwriter ein Spektrum, das von schmerzhaftem Gesang über staubigen Drum-Loops („Crawl“) bis zum abgehackten Nachdruck von „Bombo Fabrika“ so viele Elemente vereint, dass „Jardín“ jetzt schon als erster Frühblüher des nächsten Jahres gelten darf – und Gabriel Garzón-Montano als einer der größten Newcomer des Jahres 2017. (Beats International)

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