Das Leben ist zu kurz
für eintönige Musik.

Platte der Woche

Coverbild: 
KW11 | 10.03. bis 16.03.2014

Spectre

Artist: 
Laibach
Erschienen: 
27.02.2014
Label: 
MUTE/GOODTOGO

Ein Gespenst geht um in Europa, das Gespenst von Laibach.

Acht Jahre nach ihrem letzten Studioalbum veröffentlichen Laibach mit Spectre ihr bis dato womöglich spektakulärstes Album, das vieles auf den Kopf stellt, was man über das slowenische Musiker- und Künstlerkollektiv zu wissen glaubte. Bislang bewegte sich die Gruppe immer im diffusen Nebel der Zweideutigkeit, galt als scharfzüngiger Beobachter von Pop und Politik, ihrer Mechanismen und Gefahren. Doch die Zeiten ändern sich. Immer schon höchst ideologisierte Werte wie Freiheit zerbröseln vollends unter den allgegenwärtigen Augen der Geheimdienste, während die Armutsschere weltweit immer weiter auseinanderklafft und Europa und die Welt durch die Finanzkrise am Abgrund taumelt. Es sind Zeiten, in denen Freund und Feind verschwimmen. Zeiten, die nach Direktheit verlangen. Eine Deutlichkeit, die Laibach nach über 30 Jahren ideologischen Verwirrspiels und Spekulationen über ihre Motive mit Spectre für sich in Anspruch zu nehmen scheinen.

Spectre markiert den Übergang vom Abstrakten zum Konkreten, ohne den Atem banaler Agitation zu verströmen. Die elektrisierenden Songs kommen zum Punkt, ihre Rhythmen versprühen zügellose Energie. Gleich zu Beginn wird der moderne Heldentypos, der „Whistleblower“, besungen. Jener Prometheus, der westliche Werte wie Freiheit und Humanität ad absurdum führt. Typisch Laibach, die ihr Publikum in teuflischer Manier immer wieder vom Baum der Erkenntnis naschen lassen. Die Schäfer getarnt als Wölfe. „Das Album handelt von Politik und der Bildung politischen Bewusstseins“, sagen Laibach. „Die Menschen haben genug vom politischen und ökonomischen Establishment und wollen die Macht in die eigenen Hände nehmen, um Würde und Solidarität in ihr tägliches Lebens zu bringen.“

Die krisengeprägte Gegenwart ist für die Band, die sich auf der internationalen Bühne ebenso heimisch fühlen wie in den renommiertesten Galerien, natürlich ein gefundenes Fressen. Ihre Musik war ohnehin immer ein williges Vehikel für präzise Analysen kultureller und politischer Prozesse, die sich durch sämtliche Aspekte von Laibach Kunst zog. Das Kollektiv stellte die richtigen Fragen, nämlich jene, die zu Antworten führen. Auf Spectre dagegen scheint das Prinzip Frage/Antwort sich gegenseitig zu durchdringen, die notwendigen Schlüsse liegen in den Lyrics. Spectre ist der Aufruf zur Revolution angesichts bedrohlicher Zeiten. Ein unverbindlicher Handlungsvorschlag, der sogar auf mögliche Strategien zum Wandel hinweist („Americana“).

„In der Vergangenheit begannen in krisengeprägten Zeiten wie diesen normalerweise folgenreiche Kriege und das könnte leicht wieder passieren.“ Laibach warnen vor dem Scheitern Europas als Friedensprojekt. „Europe is falling apart“, heißt es in „Eurovision“, einem der zentralen Stücke auf Spectre. „Die Menschen in Europa brauchen eine neue Identität, die für sie Bedeutung hat und sie Begeisterung für die Zukunft spüren lässt. Die Revolution muss von den Straßen in Hamburg und Berlin, Paris und Athen, Istanbul, Kiew, Barcelona oder Ljubljana kommen. Die Antwort auf die Krise muss internationalistischer und universeller sein als die Universalität des globalen Kapitals.“

So weht durch Spectre nicht nur ein unbändiger Hauch von Revolution musikalischer wie ästhetischer Natur, sondern das Album versprüht den reizvollen Charme der Utopie. Es ist die Sehnsucht nach einer besseren Welt, welche die Revolutionen antreibt, die in „Eat Liver!“ oder „Walk With Me“ angedeutet werden. Doch Laibach wissen auch, dass die Utopie an sich ein Paradoxon ist. „Als eine Idee und Motivation, um unser Leben zu verbessern, brauchen wir sie unbedingt. Aber jedes Mal, wenn wir versuchen, sie im großen Stil zu verwirklichen, erreichen wir das katastrophale Gegenteil. Und alle Utopien stehen vor einem Problem: Was macht man mit denjenigen, die nicht der gleichen Meinung sind?“ Dabei haben Laibach mit dem virtuellen NSK Staat, in dem die Neue Slowenische Kunst 1992 aufging, bereits einen utopischen Entwurf vorgelegt. Letztlich kann Laibach niemand entkommen, wie sich in dem selbstreferentiellen Song „Resistance Is Futile“ offenbart. Dennoch endet „Spectre“ offen mit der Frage nach einer besseren und gerechteren Welt und Laibach überlassen es dem Hörer, die richtigen Schlüsse zu ziehen. Schließlich haben Laibach in all den Jahren die Welt verschieden interpretiert. Nun käme es darauf an, sie zu verändern.

SPECTRE Tracklisting
01 The Whistleblowers
02 No History
03 Eat Liver!
04 Americana
05 We Are Millions And Millions Are One
06 Eurovision
07 Walk With Me
08 Bossanova
09 Resistance Is Futile
10 Koran

TOUR DATES - 2014
10.03.2014 BE-Leuven, Het Depot
12.03.2014 UK-London, KOKO
13.03.2014 NL-Amsterdam, Melkweg
14.03.2014 Köln, Stollwerk
15.03.2014 Schorndorf, Manufaktur
16.03.2014 München, Technikum
22.03.2014 CN-Hong Kong, The Vine Center
02.04.2014 IT-Rome, Orion Club
03.04.2014 IT-Trezzo, Live Club
04.04.2014 Frankfurt am Main, Mousontrum
05.04.2014 Dresden, Reithalle
07.04.2014 Berlin, Volksbühne
08.04.2014 Hamburg, Uebel&Gefährlich
10.04.2014 SE-Malmö, Babel
12.04.2014 PL-Poznan, C.K. Zamek
13.04.2014 PL-Gdansk, B90
15.04.2014 AT-Wien, Arena
16.04.2014 HU-Budapest, A38
18.04.2014 CZ-Praha, Archa Theatre
09.05.2014 HR-Zagreb, TvornicaKulture
16.05.2014 SI-Ljubljana, Krizanke

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