Das Leben ist zu kurz
für eintönige Musik.

Platte der Woche

Coverbild: 
KW50 | 08.12. bis 14.12.2014

Ten Cities

Artist: 
Various Artists
Erschienen: 
13.11.2014
Label: 
Soundway Records/ Indigo

“Ten Cities” - Das sind 50 DJs, Musikproduzenten und Musiker aus 10 Städten in Europa und Afrika, die sich in gemeinsamen Produktionen und Konzerten begegnen. TEN CITIES war gekommen, um etwas auszuprobieren in Nairobi und Lissabon, Luanda und Neapel, Berlin, Bristol und Johannesburg sowie Kairo, Kiew und Lagos. Diese zehn Städte auf zwei Kontinenten – Afrika und Europa – hat das Projekt miteinander kurzgeschlossen, speziell ihre Clubkulturen, ihre Produzenten von elektronischer Tanzmusik. Um zu sehen, was sie gemeinsam haben und wo sie sich unterscheiden. Und natürlich auch, um neuartige (elektronische, tanzbare, also: Club-) Musik zu produzieren – von Musikern wie Diamond Version (Raster-Noton), Pinch (Tectonic), Rob Smith (Smith&Mighty/RSD), Dirty Paraffin (Hyperdub) oder MC Sacerdote, Vakula, Sasha Perera und den Gebrüdern Teichmann.

Warum Clubkultur? Weil Clubs viel mehr sein können als nur nächtliche Treffpunkte zum Spaßhaben. Sie bieten im Idealfall einen Ort, an dem Menschen zusammenkommen, um Kultur zu generieren und zu erleben, und am dem sie mit Identitäten und Lebensentwürfen spielen können. Eine Alternative zur offiziellen Gesellschaft. Und warum diese zwei Kontinente? Weil Europa derzeit das globale Epizentrum von avancierter Clubmusik ist, von Deephouse über Techno bis Dubstep/ Bass. Und weil Afrika der Kontinent ist, auf dem mehr oder wenige sämtliche westliche Clubmusiken ihren Ursprung haben. Gerade afrikanische Großstädte waren seit ihren Gründungen schon immer auch vibrierende Clubkultur-Städte. Heute entsteht dort häufig elektronische Tanzmusik, indem Protagonisten die globale Popkultur nachprogrammieren, oft mit Billigrechnern und Lokalkolorit. So kommt es zu hochinteressanten Aneignungen. Nicht mehr exotistische Weltmusik-Folklore oder westliche Popmusik mit Ethnosamples – sondern furiose urbane, zeitgemäße Clubmusik. Bricolagen und Durchmischungen westlicher Sounds mit lokalen Stilen, adaptiert für lokale Räume, lokale Öffentlichkeit, lokale Kultur. Es entstehen Kurzschlüsse und Weiterentwicklungen. Wenn diese Musik dann zurück in die westliche Welt gelangt, kommt es zu Rückkopplungen – und wieder neuen Weiterentwicklungen.

All das hat TEN CITIES unter die Lupe genommen. Theoretisch und praktisch. Theoretisch in einem umfangreichen Reader, in dem jeweils zwei Autoren aus jeder beteiligten Stadt über die Geschichte der Clubmusik, die Praktiken des nächtlichen Ausgehens und die Nutzungen (halb-)öffentlicher Räume durch Gegenöffentlichkeiten und Subkulturen in ihrer Heimat schreiben. Und praktisch, indem das Projekt im Laufe von mehr als einem halben Jahr rund 50 Clubmusik-Produzenten und Instrumentalisten aus den zehn Städten zusammen in Studios gesetzt hat, vor allem in den afrikanischen Metropolen. Eine Auswahl der Ergebnisse dieses kontinentübergreifenden Experiments findet sich nun auf dieser Platte.

Das Ergebnis ist vielstimmig, aber auch mit vielen Stimmen gesegnet, denn afrikanische Musik entstammt fast immer oralen Kulturen, in denen das menschliche Wort essenziell ist. Überhaupt wehen die Geister Afrikas durch die meisten dieser Tracks, mehr noch als erkennbar europäische. Denn während die Clubkultur des „Westens“ schon längst globalisiert und damit Allgemeingut ist, steuern die afrikanischen Länder local flavour bei, vom Yoruba-Gesang aus Lagos bis Kwaito-Swing aus den Wellblechhütten Johannesburgs. Unterm Strich klingen die meisten der Stücke auf dieser Platte dann wie zeitgemäße nicht-mainstreamorientierte Clubmusik von irgendwo auf diesem Planeten. Aber mit lokalen Dialekten, die man auf diese Weise noch nicht gehört hat. So biegt TEN CITIES die Sichtweise auf den jeweils anderen Kontinent um zu einem fremden Blick auf die jeweils eigene Kultur. Und liefert vor allem den Soundtrack zu guten Partys – in Afrika wie in Europa.

Auszug aus den Linernotes von Florian Sievers

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