Das Leben ist zu kurz
für eintönige Musik.

Platte der Woche

Coverbild: 
KW25 | 15.06. bis 21.06.2015

Why Make Sense?

Artist: 
Hot Chip
Erschienen: 
14.05.2015
Label: 
Domino / GoodToGo

Man muss nicht lange suchen, um die Hinweise zu entdecken: Gleich im ersten Song ‚Huarache Lights’ steckt dieses Glitzern und der gewaltige Schub, der die kollektive Psyche von Hot Chip auf dem sechsten Album der Bandkarriere perfekt zusammenfasst. Und der Hinweis ist so einfach wie bemerkenswert: “Replace us with the things that do the job better.”

Das ist zugleich Ausdruck von Kampfeslust und Zweifel, denn wenn Hot Chip schon zu lange dabei sein sollten und ersetzt werden müssten, dann sollte bitte endlich jemand aus dem Quark kommen, und einen besseren Job machen – einen wesentlich besseren.

Alexis Taylor erklärt: “Ich habe versucht, das Gefühl der Freude einzufangen, das bei mir ausgelöst wird, wenn mir Joe seine neuen Tracks zum ersten Mal vorspielt, die Aussicht darauf, mit ihm daran zu arbeiten. ‚Huarache Lights’ z.B. heißen Turnschuhe, die ich sehr gerne mag. Aber in dem Song steht der Name für etwas anderes, etwas sehr Modernes und sehr stark mit London verbundenes und für den Eskapismus einer Freitagacht im Plastic People, wo wir in der Nacht aufgelegt haben, als wir den Track geschrieben haben. Es geht sowohl um den Reiz, sich zu überlegen, was man am Abend anzieht und welche Platten man spielt, als auch um die Frage, ob wir als Band zu alt geworden sind, ob die Leute sich immer noch für uns interessieren. Die Antwort auf diese Fragen haben wir auf diesem Album musikalisch gelöst.”

Die Fragen auf ‘Why Make Sense?’ sollte sich eigentlich jede Band stellen, die sich ernsthaft mit ihrer Zukunft beschäftigt. Was bedeuten wir nach 15 Jahren? Gibt es da ein neueres, besseres Model am Bühnenrand, das uns überflüssig machen wird? Und wenn es das gibt, warum sollten wir das tun, was alle von uns erwarten?

Das sind die Kernthemen des Albums ‚Why Make Sense?’ Es ist ein Hot Chip Album das die Absichten der Band neu formuliert und eine neue Definition dafür anbietet, warum Hot Chip überhaupt relevant sind.

Die zehn Albumtracks meiden modernistische Dancefloor-Phrasen und beziehen sich eher auf die verstaubte Plattensammlung der Band aus Teenagertagen, als sie mit alten Computerprogrammen experimentierten um Musik zu machen. Aber der kreative Prozess der Entstehung von ‚Why Make Sense?’ unterscheidet sich fundamental von dem der frühen Platten wie ‚San Frandisco’ und ‚Coming On Strong’.

Für ‚Why Make Sense?’ wurde das Hot Chip Kern-Quintett der Band, Alexis Taylor, Joe Goddard, Owen Clarke, Felix Martin und Al Doyle von ihrer Tour-Drummerin Sarah Jones und dem Multiinstrumentalisten Rob Smoughton verstärkt und erstmalig live in einem Studio, den Angelic Studios, außerhalb von London aufgenommen. In dieser Besetzung hatte die Band bereits Headliner Shows, zum Beispiel den Hollywood Bowl, gespielt und wird in diesem Sommer auch Festivals wie Green Man und Sonar spielen.

Joe: “Während der Albumaufnahmen sind wir unserem Live Sounds immer näher gekommen. Diese Freiheit war entscheidend für die Entstehung einiger Tracks auf dem Album. Unser Aufnahmeprozess war fast anachronistisch. Und es ist irgendwie pervers, denn einige der Alben, die uns zu ‚Why Make Sense?’ beeinflusst haben, sind genau so entstanden – mit Toningenieuren und Musikern, die ihr Handwerk total beherrschen. Das scheint mir bei einigen aktuellen Alben, die am Laptop zu Hause gemacht werden, zu fehlen."

Das Ergebnis ist eine Offenbarung: Abwechselnd irritierend und chaotisch, zurückgenommen und im nächsten Moment wieder mit einem tosenden Puls fließt das Album daher und zeigt selbstbewusst seine Einflüsse auf: vom klapperigen, analogen Post-Punk von ‘Why Make Sense?’ über die Philly Disco Hymne ‘Dark Night’, bis zum spacigen Acid Dub ‘Easy To Get’. Im griffigen 90er Jahre R’n’B von ‘Love Is The Future’ gibt es Features von De La Soul’s Posdnuos (Vocals) und Scritti Politti’s ‚Green Gartside’ (Arrangement). ‘Need You Now’ verzichtet auf Alexis Taylors Stimme zugunsten eines sorgfältig ausgesuchten Samples von der 1983er Sinnaman Single ‘I Need You Now’ der dem Track größere emotionale Schlagkraft verleiht.

Alexis: "‚Need You Now’ handelt von anderen Themen als denen, über die ich bisher geschrieben habe. Es geht in dem Track um die düstere Realität einer Welt, in der Terrorismus immer offensichtlicher wird. Der Track bietet keine Lösung an, er zeigt nur auf, dass Terrorismus Teil unseres Alltags geworden ist und dass wir ihm gegenüber ohnmächtig sind. Normalerweise geht es in Hot Chip Songs um Beziehungen – entweder meine eigenen, oder die zur Musik, die wir machen. ‘Need You Now’ resultiert aus einer pessimistischen Sichtweise auf die Welt und ist ein Versuch zu beschreiben, wie hilflos man sich fühlt, wenn man die Nachrichten schaut.”

Das Verschmelzen von Text und Musik ist die Schlüsseltechnik bei der Entstehung von ‚Why Make Sense?’ – eine Entwicklung, die mit ‚In Our Heads’ begann.

Joe: „Wir wollten alles musikalisch etwas runterfahren um nicht zu kleinteilig zu produzieren und so die Musik zu sehr zu überladen. Das hat natürlich damit zu tun, dass wir tatsächlich eine Band sind. So haben wir einfach mal nur eine Gitarre oder nur einen Schlagzeug-Part aufgenommen und den nicht mit weiteren Tonspuren überlagert, um so eine Direktheit in unsere Musik zurückzu –bringen. So wie auf alten R’n’B Alben. Wir hatten die Hoffnung, dass wir so mehr Funk in die Tracks bringen.”

Und der Funk durchzieht auf unwiderstehliche Weise das gesamte Album. Der unverkennbare Sound des Clavinets in ‘Started Right’ transportiert den Sound von Stevie Wonder in eine futuristische Soul Atmosphäre. An anderen Stellen auf dem Album wird die Talkbox verwendet wie zu Roger Troutmans oder Todd Rundgrens Zeiten.

Alexis: “Es ist nicht möglich nicht an Stevie zu denken wenn man ein Clavinet hört. Wir haben immer neue Instrumente und Effekte verwendet, wie die Talkbox in unserem Studio. Und wir haben ständig die alten RnB Alben mit den reduzierten Funk Sounds aus den 90ern gehört wie Michael McDonald und G Funk.”

Joe: “Wir finden, dass der R’n’B von heute mit zu viel Hall verwässert ist, vielleicht um davon abzulenken, dass die Musik meist ziemlich Scheiße ist. Die Tracks auf unserem Album sind unsere Art zu sagen: ‘Das ist unser Verständnis von R’n’B. Ein Äquivalent zum Blue Eyed Soul bei dem die Verbindung zwischen der Musik und den Leuten die diese Musik machen, unterbrochen ist. Wenn man mit offenen Fenstern in einem Peugeot durch Putney fährt, muss die Musik, die man gut findet auch nicht unbedingt mit deiner Herkunft übereinstimmen. Vielleicht haben wir mittlerweile einfach akzeptiert wer wir sind und reflektieren das in unserer Musik. Fuck it, we don’t make sense, we’re doing it anyway.”

Das ist vielleicht nicht die Antwort zur Frage des Albumtitels, erklärt aber dennoch die Beweggründe eines der besten und innovativsten Musikautorenduos der Britischen Musikszene und stellt sicher, dass eine der besten Live-Bands des Planeten ihren stilbildenden Sound weiter verfeinert. Den Sound, der ohne irgendwelche Kompromisse eingehen zu müssen, sowohl im Club als auch auf der Festivalbühne funktioniert. Why Make Sense? Beweist, dass es noch kein Model gibt, dass Hot Chip ablösen könnte.

Tracklist:
01 Huarache Lights
02 Love Is The Future
03 Cry For You
04 Started Right
05 White Wine and Fried Chicken
06 Dark Night
07 Easy To Get
08 Need You Now
09 So Much Further To Go
10 Why Make Sense?

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