Das Leben ist zu kurz
für eintönige Musik.

Platte der Woche

Coverbild: 
KW 45 02.11. - 08.11.2020

2 Millionen Umsatz mit einer einfachen Idee

Artist: 
The Screenshots
Erschienen: 
16.10.2020
Label: 
Musikbetrieb R.O.C.K.

Man kann Dax Werner, Kurt Prödel und Susi Bumms nur gratulieren. Warum? Weil dem Trio mit seiner Band The Screenshots ein beeindruckendes Kunststück gelungen ist. Bis zu ihrem erstmaligen Erscheinen auf der Bildfläche vor gut zwei Jahren war die Sache im Grunde ja vollkommen klar. Mag die Welt auch jeden Tag aufs Neue über diese oder jene Uneinigkeit aus den Fugen geraten, herrschte doch – zumindest im Kosmos Pop – die stillschweigende Übereinkunft: Musik, die auf dem Zusammenspiel aus Gesang, Gitarre, Geklöppel und ein bisschen Bass im Unterbau basiert, ist durch. Die Beatles, Radiohead und U2 – nur noch Fußnoten der Pop-Geschichte, aus der Zeit gefallene Nischenmusik für Nostalgiker*Innen. Aber dann waren da auf einmal The Screenshots und veröffentlichten mit den EPs „Ein starkes Team“ und „Übergriff“ sowie der anschließenden „Europa“-LP die, man muss es so sagen, einfachste und gleichzeitig doch ehrlichste Rockmusik seit Jahren. Trotz Newcomerstatus marschierte das Trio mal eben so durch jedwedes Fachpresseerzeugnis sowie dessen Online-Outlet und das gesamte Feuilleton. „Diskurspop auf der Höhe der Zeit“, schrieb Die Zeit, „aufregendster deutschsprachiger Gitarrenrock der Stunde“ der Rolling Stone. Nach Respektsbekundungen von Jan Delay über die Band Mia bis Jan Böhmermann war es nur eine Frage der Zeit, bis die Sh00ters schließlich auf den Festivalbühnen und dem rundfunkbeitragfinanzierten shiny floor des Neo Magazine Royale standen.

Durchaus bemerkenswert für eine Band, deren Mitglieder bis dahin weniger durch ihr musikalisches Talent als vielmehr in Form von drei anonymen Einzelavataren beim Kurznachrichtendienst Twitter in Erscheinung getreten waren, die ihre jeweilige Timeline auf ganz unterschiedlich geartete Weisen mit geistreichen bis genialen Pointen von bis zu 280 Zeichen Länge bespielten. Mit dem Song „Wir lieben uns und bauen uns ein Haus“ samt Video beendete die Band im Herbst 2019 schließlich das Rätselraten um ihre Identitäten und zeigte sich zum ersten Mal vor der Kamera. „2 Millionen Umsatz mit einer einfachen Idee“ ist nun das zweite Album dieser ganz besonderen Band. Besonders insofern, als dass sich das ewig gleiche Ergehen in popjournalistischen Plattitüden über eben jenen Zweitling und etwaige Erschwernisse im Entstehungsprozess schlichtweg verbieten. So schön und souverän sind die elf Stücke, die Dax Werner, Kurt Prödel und Susi Bumms für diese Platte zusammengetragen haben.

„2 Millionen Umsatz mit einer einfachen Idee“ dekliniert dabei gekonnt einmal die gesamte Palette der Rockmusik durch. Mal herrlich laut geschrammelt, dann wieder behutsam vor sich hingespielt und im nächsten Moment erneut zu übergroßen Soundwänden für das Stadion aufgetürmt, entsteht durch und durch gute Pop-Musik - poetisch und pointiert, klug und naiv, ironisch und trotzdem direkt. „Träume“ ist ein augenzwinkernden Abgesang auf neoliberales Glückskeks-Mindset und brettert einem mit der kWh-Kapazität eines Tesla Model X in den Gehörgang, während „Snacks“ sich als kongenialer „Cornetto Buttermilch Zitrone“-Weiterdreh mit Inklusivitätsanspruch entpuppt und „Walter White ist tot“ als Kommentar auf konsumistischen Vollständigkeitsanspruch weit über den klassische Serienmarathon hinaus verstanden werden darf.

Aber dann ist da zum Beispiel auch ein Stück wie „Manchmal“, das den ewigen Clinch zwischen weltverändernder Verve und Sehnsucht nach Sinnhaftigkeit im Miteinander vertont. Oder „Die Welt geht noch nicht unter“, ein in zarter Melancholie zerfließendes Stück Musik, welches in dem Versuch der Beschreibung eines weltumspannenden Ist-Zustandes letztendlich doch immer wieder bei der Liebe als Antwort landet. „Wir lieben uns und bauen uns ein Haus“ schlägt in die gleiche Kerbe, aber spielt doch auch mit Themen wie Zeitgeist, bürgerlichen Vorstellungen und Erwachsensein. Ganz so einfach ist es dann scheinbar doch nicht. Aber wenn Dax Werner im hinteren Drittel des Album das Mikrofon an Susi Bumms weitergibt, sie in „John Mayer“ den aus Körperwelten geborenen Kitsch umarmt und Kurt Prödels treibende Trommelwirbel einen im ungewöhnlich impressionistischen letzten Song „j@@@@@@@“ aus diesem wunderschönen Album begleiten, ist ohnehin alles andere egal. Liebe Grüße an alle, aber besonders an The Screenshots. (Quelle: Checkyourhead)

Tracklist: 
1Manchmal
2Liebe Grüße an alle
3Airbnb
4Träume
5Walter White ist tot
6Snacks
7Für immer niemals da
8Die Welt geht noch nicht unter
9Wir lieben uns und bauen uns ein Haus
10John Mayer
11j@@@@@@@

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