Das Leben ist zu kurz
für eintönige Musik.

Platte der Woche

Coverbild: 
KW 36 06.09. - 12.09.2021

A Force Majeure

Artist: 
Tora
Erschienen: 
03.09.2021
Label: 
Ninety Days

Die Aussage, dass Musik universell sei, traf nie so sehr zu wie heute. In dunklen und desillusionierten Zeiten bietet sie einen Weg zur Flucht, zur Heilung und zum eigenen Ausdruck. Durch ihre kreativen Möglichkeiten bietet sich Musikern auf diesem Weg ein besonderer Schatz, aus dem gleichzeitig besondere Verantwortung entsteht. Die australische Elektronikband Tora hat diese Herausforderung im Jahr 2020 mit großem Selbstvertrauen angenommen, als sie ihre Aufnahmen zum dritten Studio-Album begannen. Elf Songs, die den Wesenskern einer Band einfangen, die von jetzt auf gleich aus ihrer Routine herausgerissen wurde. Elf Songs, die strahlend hell klingen, eine frische Perspektive bieten und von einem tiefen Verständnis der Gruppe für ihre Kunst und Identität zeugen. Als konzentrierte und aktuelle Momentaufnahme von Tora sind Sound, Gefühl und Ausführung auf A Force Majeure raffiniert durchdacht, reif und zeitgemäß. Obwohl Byron Bay in Australien nach wie vor ihre Heimat ist, wurde A Force Majeure ein markant internationales Album. Tora sind nach Amsterdam gezogen und hatten die Stadt zu ihrer Homebase gemacht, von wo aus Touren durch Europa und nach Amerika geplant waren.

Kurz nach ihrer Ankunft wurden die Gefahren durch COVID-19 jedoch sehr real, woraufhin Tora nicht nur ihren gesamten Tourneeplan canceln, sondern sich auch im Lockdown zurechtfinden mussten. Zwar waren Auftritte nicht mehr möglich, aber es blieb die Lust am Schaffen. Also konzentrierten sie sich in den nächsten acht Monaten auf ihre neuen Aufnahmen. Zeit war plötzlich mehr als genug vorhanden und so gingen sie im Studio auf Tauchstation. Dadurch dass sie es nach ihren Bedürfnissen angemietet und ausgestattet hatten und tagein, tagaus an der Musik feilten, konnte die Band frei von Zeit- oder Tourneedruck arbeiten. Diese Erleichterung spürt man im gesamten Album. Die Tracks auf A Force Majeure wandern zwischen ätherischen und großartig treibenden Klängen. Elegantes Klavierspiel trifft auf verführerische Rhythmen und produzierte Elemente („When Will I Learn“, „In Deeper“). Die Harmonien tanzen, wenn sich die Stimmen der Bandmitglieder mit denen ihrer Gäste Angie Hudson und Asha Franco abwechseln („Fire Apartment“, „Metanoia“). Der emotionale Sog und die Intensität, die den Song „In Deeper“ durchziehen, strahlen eine ähnliche Energie aus, wie die Songs von James Blake und Ry X, während der Eröffnungssong des Albums den ätherischen Klang vorgibt und den Zuhörer in eine Klangwelt entführt, die um organische und elektronische Töne herum aufgebaut ist. Im Song „Why Won‘t You Wait“ – gewissermaßen das Parallelstück – werden die R&B-Elemente des Albums ins Reich der Träume verfrachtet. Die Leadstimme von Jo Loewenthal klingt fast hypnotisch, schummrige Noten füllen die Arrangements. Gitarre, Synthesizer und geschickt eingesetztes Schlagzeug ergänzen den Track um eine klare Struktur und geben ihm eine Kante. Loewenthal beschreibt, dass das Album mit der Zeit immer spürbarer in ihm geklungen hat. Und so ist A Force Majeure auch kein Pandemie-Album, sondern fängt Anpassungsfähigkeit und Ambition der Band wunderbar ein. „Die Songs sind für mich im Laufe der Zeit immer wichtiger und relevanter geworden. Ich bin froh, dass wir die Geduld hatten.

Als wir im letzten Jahr an unserer Musik gearbeitet haben, haben wir uns bloß abgehetzt. Die Musik sollte einfach nur fertig werden. In der COVID-Krise haben wir uns gedacht: „Wir müssen was machen, damit man uns sieht“, und dann haben wir überlegt: „Komm, wir lassen uns Zeit, wir machen‘s in aller Ruhe.“ Es fühlt sich nach einer richtigen Entscheidung an, denn die Konzepte sind im Laufe der Zeit immer stärker geworden.“ Kraft und Tiefe auf A Force Majeure erstrecken sich dabei nicht nur auf ein paar Tracks. Von Anfang bis Ende spannt sich ein klanglicher Bogen durch das Album. „Call On Me“ und „Inundated“ als Album-Highlights sitzen wie zwei Faustschläge und spielen exzellent mit dem Klang. „Call On Me“ sehnt sich nach einer Verbindung und ist gleichzeitig ein tanzbarer Track – einer der schnelleren Momente auf dem Album. Anschließend entführt uns „Inundated“ in einen wunderschön melancholischen Klangraum. „I had to bear the weight of the future…“ singt Loewenthal. Das zusätzliche emotionale Gewicht steigert die Stimmung im Song und nimmt den Zuhörer mit. Die Sounds, die Tora hier anspielt sind frisch und zugänglich. Diese Art Musik soll Wärme und Stimmungen schaffen, egal ob man im Club ist, auf einem Festival oder zu Hause. Bei ihrem zweiten Album von 2019 Can’t Buy The Mood gingen Tora erstmals als Songwriter und Produzenten an den Start. Hier pushen sie sich noch weiter in neue Klangräume, spielen noch mehr mit Tempo und Tönen, setzen mehr helle und dunkle Töne an, als bei vorigen Arbeiten. Die persönliche Weiterentwicklung war ein wesentlicher Antrieb für A Force Majeure, und während das Album seine endgültige Form annahm, spiegelte dieses Thema den Ethos der Band noch stärker wider.

Put down your phone for a second, so I can have your attention“ schmachtet Loewenthal im Song „Put Down Your Phone“. Als wohl einer der zeitgenössischsten Tracks auf A Force Majeure lenkt der Song unseren Blick auf die wichtigen Dinge im Leben. „I don’t wanna be another mistake that you make when you are running off in another state of mind.“

Obwohl sich die Band in vielerlei Hinsicht aus ihrer Komfortzone bewegen musste, ist Tora auf A Force Majeure so ausgearbeitet und bewusst wie nie. Durch das gemeinsame Erleben der neuen Normalität ist die Band aus diesem Prozess als stärkere Einheit hervorgegangen – eine Dynamik, die tief in die Musik eingedrungen ist. „In all dem Chaos auf der Welt hat uns dieses Album wirklich ein Gefühl von Erleichterung verschafft“, meint Loewenthal. „Das möchten wir gerne mit der Welt teilen. Findet zu euch zurück und arbeitet an euch, damit ihr positiv nach außen wirken könnt: das ist die Botschaft. Sich persönlich weiterzuentwickeln, damit man anderen helfen kann. Nicht nur nehmen, sondern geben. Geben ist dasselbe wie nehmen – wenn du gibst, wird jemand anderes nehmen. Und irgendwann kommt es wieder bei dir an.“

Tracklist: 
1In Deeper
2Why Won´t You Wait
3Call On Me
4Inundated
5Fire Apartment
6Out down your phone
7New Age
8When Will I Learn
9How Long
10A Force Majeure
11Metanoia
Tourdates: 
10.11.21Köln, Yuca
11.11.21Hamburg, Nochtspeicher
12.11.21Berlin, Prince Charles

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