Das Leben ist zu kurz
für eintönige Musik.

Platte der Woche

Coverbild: 
KW 26 28.06. - 04.07.2021

Former Things

Artist: 
LoneLady
Erschienen: 
25.06.2021
Label: 
Warp Records

Ein dunkles Jugendzimmer, erleuchtet allein durch ein flackerndes VHS-Fernsehflimmern; draußen vor dem Fenster wirft die Laterne ein orangenes Licht. Hoffnungen – Ambitionen – Träume… wo sind sie bloß hingekommen? Sind sie auch „Dinge von damals“ – Former Things? 

 

Wie der Name vermuten läßt, ist LoneLady ein Soloprojekt: Sie schreibt und spielt sämtliche Parts alleine ein, macht die Aufnahmen selbst, und baut so eine ganz eigene Klangwelt, das Ergebnis einer bewusst einzelgängerischen Herangehensweise. War auf den Vorgängern hin und wieder doch jemand anderes als Gast beteiligt gewesen – ein Schlagzeuger etwa –, ist auf Former Things auch das kein Thema mehr. 

Dieses Mal hat LoneLady sämtliche Beats und Sequencer-Parts allein programmiert, hat ihre Telecaster-Gitarre eingetauscht gegen einen ganzen Berg von Synthesizern und anderen Hardware-Komponenten, die ihr unzählige neue Möglichkeiten eröffneten; diese Geräte waren die Grundlage, um darauf mit dem Album einen neuen Kurs einzuschlagen. Den Kern des neuen Albums bildet eine Sammlung von Drum-Machines, Sequencern und Synthesizern, weshalb Julie Campbells neueste Kompositionen auf Former Things insgesamt eher in Richtung Electro/Dancefloor gehen – auch wenn hier und da immer noch Anklänge von ihren früheren Techno-Tracks oder ihrem Post-Funk-Gitarrenspiel aufflackern. Grobkörnige Synthie-Parts und knallharte Beats greifen kontrapunktisch ineinander: So entstehen immer neue Melodien und Muster, die sich über acht Uptempo-Tracks entfalten. LoneLady geht damit ganz klar einen Schritt weiter, sie lässt den Sound ihres Hinterland-Albums hinter sich, auf dem sie verkratzten Punk-Funk, Funk-Pop und ausladende Dance-Tracks so verschnürte, dass gleich vier Auskopplungen bei BBC6 Music auf A-Rotation gingen; auch mit dem krassen, abgehackten Gitarrensound ihres Debüts Nerve Up haben diese acht neuen Tracks nur noch wenig gemein… 

Former Things entwickelte sich aus einer Residency in den Somerset House Studios, die LoneLady schon 2016 antreten durfte. Indem sie Erinnerungen an ihre Heimatstadt Manchester hervorkramte, sezierte sie diese Ansätze in einem Schießstand aus dem 18. Jahrhundert, der ebenfalls Teil des Studio-Gebäudekomplexes war, umgeben vom Surren und Rauschen dieses anfangs noch fremden, aber ganz klar spannenden Orts. 

„Ich brauchte unbedingt einen Tapetenwechsel. Da ich in Manchester geboren und aufgewachsen bin, fühlt sich meine Heimatstadt ein bisschen wie ein überdimensionales Tagebuch an – wie eine archäologische Fundstätte meines eigenen Lebens, in der sich unzählige Erinnerungsschichten abgelagert hatten. Nachdem ich im Juni 2016 die ersten Meetings mit Marie McPartlin, der Leiterin der Somerset House Studios hatte, zog ich also von Manchester nach London, um Mitglied der Studio-Community zu werden. Ich richtete mir mein eigenes Studio im ‘Schießstand’ ein – tatsächlich gibt es da einen Marineschießstand aus dem 18. Jahrhundert. In diesem länglichen, engen Betonraum richtete ich das Studio so ein, das es wie eine Mischung aus einer Kunstinstallation und einem Nightclub wirkte: Ein Ort, an dem ich richtig laut sein und dabei Super-8-Videos von Cabaret Voltaire schauen konnte, oder Filme von Ingmar Bergman, die ich auf die Steinwände projizierte. Ich befand mich mitten im Zentrum des Geschehens, gar nicht weit entfernt vom Trafalgar Square und dem Buckingham Palast… was schon eine ganz andere Nummer ist, verglichen mit meinen früheren Studios, die immer irgendwo im düsteren Zerfall der ausgefransten Randgebiete von Manchester gelegen hatten. 

 

Ich will damit nicht sagen, dass Former Things irgendwie ‘nach London klingt’, aber es ist in einer Phase der Veränderungen entstanden, in der ich vielen neuen Reizen ausgesetzt war… Neue Stadt, neues Equipment, ein neuer Ansatz als Songwriterin. Auch ist es kein ‘Pandemiealbum’, schließlich ist der Großteil der Tracks im Somerset House zwischen Ende 2016 und 2018 entstanden, wobei ich dann in Schüben noch 2019 und 2020 mit dem Feinschliff beschäftigt war. Richtig fertiggemacht habe ich das Album dann wieder zusammen mit Bill (Bill Skibbe, schon bei Hinterland ihr Co-Produzent) in einer Reihe von Zoom-Sessions zwischen Manchester und Michigan, die wir zwischen September und Dezember 2020 abgehalten haben. 

 

Wichtige Einflüsse waren beispielsweise das Album Clear von Cybotron (1983), Cabaret Voltaire zur Zeit von Drinking Gasoline (1985), oder auch Arthur Baker und Neneh Cherry, die mich stets begleiteten, während ich mein neues Studio aufbaute und mich auf die neue Technik und die neuen kreativen Prozesse einließ. Ich wollte einfach ein bisschen neues Spielzeug ausprobieren, und indem ich dann die Gitarre als wichtigstes Songwriting-Tool beiseitelegte, war ich gewissermaßen gezwungen, einen neuen Ansatz zu wählen. Ich wollte einfach richtig knallharte Synthie-Sounds machen und so richtig druckvollen Electro-Crunch-Sound.

 

Den Mittelpunkt des neuen Setups bildete ein MIDI Analog Sequencer von Doepfer, den ich mit zwei analogen Synthesizern verknüpfte, einem ARP Odyssey und einem Korg MS-10. Beide dominieren weite Teile des neuen Albums, und dazu gibt es noch viele digitale Synthesizer-Sounds zu hören, Drum-Machines, Sampler und Percussion-Pads… 

Besonders Drum-Machines gibt es etliche auf dem Album zu hören – unter anderem die Klassiker wie eine 909 oder eine Linn LM-1, aber auch jüngere Geräte wie den MFB-Tanzbar Drum Computer und auch Samples von Vintage-Drum-Machines – u.a. vom Oberheim DMX und dem E-MU Drumulator. 

 

In meinem Kopf sehe ich diese Platte auch als Popalbum, und rein instinktiv versuche ich immer, in meinen Songs möglichst viele Hooks und eingängige Parts unterzubringen – weshalb diese Stücke, die aufgrund der Beats und Synthie-Sounds anfangs ziemlich hart klangen, dadurch letztlich doch etwas mehr Wärme und so etwas Songwriter-Haftes bekommen haben.“

Schon mit dem Eröffnungstrack „The Catcher“ betritt man die neueste Klangwelt, die LoneLady errichtet hat: Die bissigen Korg-Sequenzen erzittern innerhalb des knackig programmierten Gerüsts aus Oberheim DMX-Beats und Roland-Percussion. Dazu kommen unterkühlte Streicher und angstgetränkte Zeilen, die ähnlich krass klingen wie damals die allerersten Tracks auf ihrem Debütalbum. „(There Is) No Logic“ geht entschlossen nach vorne, wenn druckvolle Electro-Sounds auf dezente R&B-Vibes treffen: Ein Hauch von Neneh Cherry, Janet Jackson, Arthur Baker oder auch New Order (etwa zur Confusion-Zeit) liegen in der Luft, unterfüttert vom Achtziger-Electrofunk à la Cabaret Voltaire. Von „Memento mori“-Malereien aus dem Mittelalter und deren Ermahnung inspiriert – jene Werke erinnern an die eigene Vergänglichkeit –, fungiert der Track als Neuinterpretation und Update zu dieser jahrhundertealten Warnung. Auf „Fear Colours“ vermischt sich der Funk-Einschlag mit dichten Crunch-Teppichen und Vocoder-Klängen, die nichts Gutes verheißen: Beklemmung, Vorahnungen, das Gefühl, verfolgt zu werden, eingerahmt von MPC-Samples, drückend wie Kolben, von angstzittrigen Streichern und niederfrequenten Synths, die alles zerfurchen und dabei sehr bedrohlich wirken. 

 

Im Fall des Titelstücks „Former Things“ sind die gefährlichen Kanten etwas entschärft, etwas weicher gezeichnet und in Sepiafarben gehalten. Hier klingen die Streicher eher wehmütig, dazu schimmern Glockenspiel und Cymbals, was Super-8-Erinnerungen weckt und überhaupt an eine längst verlorene Ära erinnert, eine goldene Kindheit und Jugend. Ums Thema Zeit und Vergänglichkeit dreht sich „Time Time Time“: Aufmüpfige Gitarren überschwemmen treibende Piano-Riffs und Snare-Samples aus der Linn Drum-Machine – in einem Rennen gegen die Zeit, das man unmöglich gewinnen kann. 

 

„Der Song hat so etwas Widerspenstiges und Unzähmbares“, findet LoneLady. „Die Klavierriffs habe ich mit einer Korg Triton-Workstation aufgenommen, die Brian Eno mir gegeben hat! Er ist einer der Trustees des Somerset House, und er hat deshalb auch mehrfach bei mir im Studio vorbeigeschaut. Wir unterhielten uns dann länger über Equipment, bis dann aus heiterem Himmel dieser Synthesizer an meiner Studiotür abgegeben wurde – eine Woche nach seinem Besuch. Ich habe länger darüber nachgedacht, welcher Titel passend für diesen Track wäre, und schließlich habe ich mich dann für ‘Time Time Time’ entschieden, weil das so nach Dichtung der Romantik klingt. Da schwingt so etwas Elegisches, Großes mit, wie bei Auden oder T.S. Eliot.“ 

 

Im Verlauf von Former Things skizziert LoneLady ihre Erinnerungen immer wieder als mythische Landschaft, als emotionale Szenerie, durchbrochen von ihren scharfkantigen und dabei doch treibenden, wogenden Dance-Kompositionen und der schwer greifbaren Dualität ihres Wesens, was auch im Cover-Artwork sichtbar wird: Da nämlich tritt LoneLady wie eine Kämpferin à la Jeanne d’Arc auf, die sich durch die natriumdampflampenorange schimmernden Straßen ihrer Vergangenheit bewegt und dabei ein mittelalterliches Banner in die Luft hält, auf dem der von Hand eingestickte Albumtitel prangt. Das von ihr selbst entworfene Artwork und die dazugehörige Idee habe auch viel mit dem Romantisieren und mit Mythen zu tun: 

 

„Es geht ums Romantisieren, um Mythenbildung… wir greifen so oft auf alte Legenden, Mythen und Rituale zurück, um darin Trost zu finden und uns zu beruhigen, wenn wir unser Leben in schwierigen Phasen hinterfragen. Die Idee besteht darin, etwas zu erheben, es heilig zu machen. Auf der persönlichen Ebene halte ich buchstäblich ein Banner in die Luft für die Erinnerung an etwas, das verlorengegangen ist: Die Magie der Jugend, das Gefühl, dass ich nicht mehr diejenige bin, die ich mal war… ewige Themen, die uns alle bewegen. Die Texte drehen sich um so ein Gefühl des Trauerns, der Sehnsucht nach diesem verlorenen Ich, nach dem Zauber und dem Optimismus der Kindheit. Ich behaupte damit, dass diese ‘Dinge von damals’ etwas sind, das es wert ist, ihrer zu gedenken.“ 

 

Trauern und Mythenbildung spielen auch im Werk des britischen Malers George Shaw eine zentrale Rolle, den LoneLady zu ihren Lieblingskünstlern zählt. Auch Shaw versteht es, auf der Leinwand Szenen aus der Jugend entstehen zu lassen, in denen prägende Orte und Erinnerungen zu etwas Heiligem erhoben werden.

Und so gibt es eine zentrale, brennende Frage, die immer wieder im Verlauf des Albums auftaucht, sei es nun in den Texten, den Beats oder den Sequencer-Parts: Wo ist das Wunder der Jugend hin? Ist es noch da? 

Former Things ist eine schillernde Sammlung von Erinnerungen, die wir bewahren wollen: Ein Mythos, gut geschützt in unseren Köpfen, um uns über lange Zeiträume hinweg daran zu erinnern und uns immer und immer wieder zu inspirieren.

 

Tracklist: 
01The Catcher
02(There Is) No Logic
03Former Things
04Time Time Time
05Threats
06Fear Colours
07Treasure
08Terminal Ground
Tourdates: 
22.01.2022Hamburg
23.01.2022Berlin
24.01.2022Köln

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