Gegen Stumpfsinn
und Langeweile

aus dem Äther.

Brauchen wir überhaupt Bürgerfunk?

Auf der Tagung der Friedrich-Ebert-Stiftung Sozialer Zusammenhalt durch Bürgerfunk am 12.10.2012 in Stuttgart stellte der Politikwissenschaftler Prof. Sarcinelli die etwas ketzerische Frage nach der Systemrelevanz des Bürgerfunks.

Stachel im Fleisch oder Sauerteig der Gesellschaft
Einem Vergleich mit maroden Banken, die von Staatsseite gestützt werden müssen hält der nichtkommerzielle Hörfunk natürlich nicht stand. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Lage des Medienmarktes und der derzeitigen Gesellschaftsentwicklung fördert jedoch zutage, dass der Bürgerfunk durchaus tragende Aufgaben wahr nimmt. In Kooperationen mit Schulen und Hochschulen werden Medienkompetenz und der verantwortungsvolle Umgang mit Information geschult. Migranten und Minderheiten gelingt jenseits des 1,5-Minutenformats die Darstellung ihrer Geschichte. Im öffentlichen Diskursraum können fernab von Marktinteressen Meinungen artikuliert werden. Meinungen von Bürgern, die überhaupt noch das Interesse zeigen, an einem gemeinsamen gesellschaftlichen Diskurs teilnehmen zu wollen.

Das Instrument des Bürgermediums als demokratisches Partizipationsangebot, als „Stachel im Fleisch“ der etablierten Medien und als Sauerteig, der in vielen Bereichen aufgeht, spielt somit eine nicht zu unterschätzende Rolle für eine lebendige demokratische Bürgerkultur. Zu diesem Schluss gelangt Prof. Sarcinelli. Seine Empfehlung an die Entscheidungsträger in Politik und Behörden lautet: Angesichts der Mittel, die für die sogenannte Hochkultur, wie Theater, Oper, Orchester bereit gestellt werden, sollte unser freiheitliches Gemeinweisen in der Lage sein sich im eigenen Interesse Bürgermedien zu leisten.

Das dritte Standbein der Medienlandschaft
Sarcinelli ist mit seiner Meinung nicht allein. Schon vor Jahren gelangte das EU Parlament nach eigenen Untersuchungen zu demselben Schluss: Bürgermedien seien wirksam um die kulturelle und sprachliche Vielfalt zu fördern. Sie stärken die Identität einzelner Interessengruppen und fördern gleichzeitig die Auseinandersetzung mit anderen Gesellschaftsgruppen. Damit spielen sie eine wichtige Rolle für Toleranz und Pluralismus. Sie sind Katalysator für lokale Kunst ebenso wie Plattform für publizistische Weiterbildung. Dies vor allem weil sie offen und den Bürgern, die sie gestalten verantwortlich sind und sich den Allgemein- und Einzelinteressen und nicht den Marktinteressen verpflichtet fühlen.

Trotz der herausragenden Möglichkeiten, die Bürgermedien bieten, verhindern reale Gesetzeslagen Meinungsfreiheit, Partizipation und Pluralität in der Medienlandschaft. Das Europaparlament ist der Auffassung, Qualität sei von entscheidender Bedeutung, damit die alternativen Medien ihr vorhandenes Potenzial ausschöpfen können. Und Qualität sei bekanntlich von der finanziellen Ausstattung abhängig. Daher hat das Europaparlament in einem Beschluss bereits am 25. September 2008 die Mitgliedsländer aufgefordert, Bürger- und Alternativmedien neben Öffentlich-rechtlichen und Privat-kommerziellen einen eigenen Status einzuräumen und für ihre finanzielle Absicherung zu sorgen. 

Eine Aufforderung, der bisher weder die Bundesrepublik Deutschland noch die Bundesländer nachgekommen sind. Deutschland ist in punkto Umgang mit alternativen Medien kein Vorzeigeland.
 
 

>> hier geht es zum Beschluss des EU-Parlaments
>> als pdf der vollständige Text des Vortrags von Prof. Sacrinelli