Das Leben ist zu kurz
für eintönige Musik.

Platte der Woche

Coverbild: 
KW15 11.04. - 17.04.2016

Everything You’ve Come To Expect

Artist: 
The Last Shadow Puppets
Erschienen: 
31.03.2016
Label: 
Domino / GoodToGo

Everything You've Come to Expect hat lange auf sich warten lassen: Genauer gesagt sind seit der Veröffentlichung des Debütalbums der Last Shadow Puppets The Age of Understatement acht Jahre ins Land gegangen. „Als mich jemand darauf aufmerksam machte, dachte ich: ‚Scheiße, wir sind jetzt Männer!‘“, lacht Miles Kane, der neben Alex Turner eine Hälfte der Band ausmacht. „Wir haben die Pubertät hinter uns.“

Owen Pallett, der die Streicher und Bläser auf The Age of Understatement arrangierte, kam derselbe Gedanke, als er sich im letzten Jahr bei den Shadow Puppets wieder zum Einsatz meldete. „Ich hatte Alex bei Festivals getroffen und ihn in seinem langhaarigen Gymqueen-Look bis hin zu seinem aktuellen, aalglatten Rockabilly-Stil erlebt“, sagt der geniale Kanadier und Label-Kollege bei Domino. „Miles dagegen war ich nicht mehr begegnet, seit er 21 war. Als ich ihn also wiedersah, entfuhr es mir: ‚Oh mein Gott, du bist erwachsen!‘. Es war geradezu ein Schock zu sehen, dass dieser Typ, der mir damals wie ein rotziger Schuljunge vorgekommen war, auf einmal jemand ist, dem buchstäblich mein Arsch gehört."

Sagen wir einfach, dass sich andere Verpflichtungen zwischen The Age of Understatement und seinen Nachfolger drängten, darunter nicht zuletzt der unaufhaltsame Erfolg von Turners anderer Band, den Arctic Monkeys, die zwischen 2008 und 2013 nicht nur ein, sondern gleich drei unglaublich erfolgreiche Alben herausbrachten. „Ich wünschte, ich hätte eine romantischere Antwort, aber die Gelegenheit für ein zweites Album hat sich einfach nicht eher ergeben“, erklärt Turner. „The Age of Understatement übertraf sämtliche Erwartungen, aber es wurde ein wenig ausgebremst, weil wir nie davon ausgegangen waren, mit dem Album zu touren. Und dann mussten wir auch schon zu unseren anderen Bands zurück.“ Kane startete eine Solokarriere, nachdem er sein Trio The Rascals im Sommer 2009 aufgelöst hatte, und hat seither zwei Alben bei Columbia veröffentlicht.

Weder Kane noch Turner hatten je geplant, die Puppets auf Eis zu legen, wo viele solcher „Nebenprojekte“ in alle Ewigkeit vor sich hindümpeln: dazu war das kreative Ventil, das diese Combo den beiden Freunden bot, viel zu wichtig für sie. „Bei The Age of Understatement waren die Texte für mich zum ersten Mal einfach nur ein weiteres Element der Aufnahme, neben der Melodie und dem Rest der Musik“, sagt Turner. „Davor war jeder Song, den ich geschrieben hatte, immer ‚über etwas‘ – in Anführungszeichen – und hier begann ich zum ersten Mal, die Lyrics mehr als Komponente eines großen Ganzen zu sehen – ohne den Fokus darauf zu legen; plötzlich dachte ich mehr an den Schatten auf der Wand als an das Objekt, das diesen Schatten warf. Es war, als ob ich zum ersten Mal einen Zeh ins Abstrakte getaucht hätte.“

Genau wie The Age of Understatement, das dem Duo ermöglichte, eine beinahe vergessene Welt aus epischem Sixties-Pop zu erkunden, die in scharfem Kontrast zu den Monkeys und den Rascals stand, hat die Wiederkehr der Shadow Puppets Kane und Turner neue Wege erschlossen, die eine radikal andere Richtung als ihre sonstige Arbeit einschlagen. Tatsächlich befanden sich einige der Songs auf Everything You've Come to Expect in der Keimphase, seit die Monkeys im November 2014 endlich ihre AM-Tour hinter sich gebracht hatten. „In den letzten paar Jahren haben wir immer mal wieder an diesen Songs gearbeitet“, sagt Turner.

Er ist sich nur allzu bewusst, dass die „Geschichte“ von Everything You've Come to Expect grob gesagt auf die Tatsache heruntergebrochen werden könnte, dass sowohl er als auch Kane inzwischen in Los Angeles leben – und dass das Album in Rick Rubins Shangri-La Studios in Malibu aufgenommen wurde, der Heimat von The Band zur Glanzzeit von The Last Waltz. „Ich mag es ordentlich, so nach dem Motto ‚Wir leben jetzt hier, deshalb klingt es so‘“, meint er, „aber ganz so ist es natürlich nicht. Wenn ich mir das Album anhöre, denke ich an andere Städte – London und Paris – genauso wie an LA.“ Kane stimmt ihm zu: „Das war kein großes ‚Lass uns eine LA-Platte machen‘-Ding; eher etwas in der Art von: ‚Wo wir schon mal hier sind, können wir auch hier aufnehmen.‘“

Beide geben jedoch zu, dass einige ausgesprochen amerikanische Elemente in die Stücke des Albums eingeflossen sind, auch wenn diese weniger spürbar sind als die Einflüsse von Scott Walker, John Barry und Ennio Morricone auf dem Vorgänger. „Da waren ein paar Todd Rundgren-Nummern und ein Ned Doheny-Album namens Hard Candy“, sagt Turner, der auch einräumt, dass das Arbeiten in seiner Wahlheimatstadt der „grüne Saft“ war, der die „Ecken und Kanten“ des Puppets-Sounds im Shangri-La abrundete. Eine weitere, etwas unwahrscheinlichere Inspiration waren Paul Wellers Style Council. „Ich hörte sie definitiv nicht, als wir die erste Puppets-Platte machten“, gibt Turner zu. „‚Long Hot Summer‘ hat so eine schimmernde Qualität, die wir in den Klang dieses Albums einbringen wollten, auch in die Melodien.“

Für Owen Pallett, der dieses Mal mit der Band mehr im Studio arbeitete, waren die Songs weniger amerikanisch oder kalifornisch, sondern vielmehr offen und raumgreifend. „Es gab viel mehr Platz für meine orchestrale Arbeit“, berichtet er. „Bei der ersten Platte sprachen wir über Scott Walker und David Axelrod als Referenzpunkte für die Richtung der Orchestrierung. Dieses Mal fragte ich, ob ihnen neue Referenzpunkte vorschwebten, und sie meinten: ‚Hast du von einem Album namens The Age of Understatement gehört?‘ Also zapfte ich sozusagen meine eigenen Quellen an.“ Eine dieser Quellen entpuppte sich als klassischer orchestraler Soul von Isaac Hayes, orchestriert 1969 von dem Detroiter Arrangeur Johnny Allen. „Es gab ein paar Stücke, mit denen wir irgendwie zu kämpfen hatten“, sagt Pallett. „Als wir dann eines Abends Hot Buttered Soul hörten, setzten wir uns wieder hin und schrieben diverse Arrangements um.“

„Ich glaube, direkt nebenan zu arbeiten brachte Owen zu anderen Schlussfolgerungen als letztes Mal, als wir diesen Luxus nicht hatten“, vermutet Turner. „Er wollte weniger machen als bei The Age of Understatement. Er ist unglaublich begabt. Wir drehen ihn einfach auf und lassen ihn machen.“
Gleich beim ersten Hören von Everything You've Come to Expect fällt auf, dass seine Einflüsse weniger offensichtlich sind. Obwohl der Sound der Puppets weiter fest im Schwung und der Romantik des Ferry- 'cross-the-Merseybeats verankert bleibt – in der verlorenen Welt des Brylcreem-gestylten Billy Fury –, entführen uns ihre neuen Songs ins Reich von Curt Boettcher (der bittersüße Sunshine-Pop des Titelsongs) und Roy Orbison (die Bolero-getriebene Schmachtschnulze ‚Sweet Dreams, TN‘). Während die Leadsingle ‚Bad Habits‘ ungehemmt die Zähne fletscht, klingen ‚Miracle Aligner‘ und ‚Dracula Teeth‘ verführerisch und melodisch-schmachtend.

„Ich glaube, was diese Platte etwas anders macht, ist der Umstand, dass Al und ich im Vergleich zum ersten Album mehr zu unseren Stimmen gefunden haben“, vermutet Miles Kane. „In der Zwischenzeit haben wir natürlich mehr Gesangserfahrung gesammelt, deshalb lehnen wir uns gerne mal zurück und lassen den jeweils anderen bei den passenden Songs sein Ding machen. Wie bei ‚Sweet Dreams‘, da finde ich Als Gesang einfach unglaublich, wie seine Stimme in die Höhe geht und dann wieder croont. Während ich lieber die etwas punkigeren Sachen wie ‚Bad Habits‘ übernehme, die mir leichter fallen. Und dann haben wir Nummern, die irgendwo zwischen diesen beiden Polen liegen, wie ‚Used to Be My Girl‘ und ‚Aviation‘. Bei den Close Harmony-Stücken wie ‚Dracula Teeth‘ und ‚Element of Surprise‘ verschmelzen die Extreme irgendwie miteinander. Bei diesen lebhafteren Melodien war das ein ganz neues Ding, das sich da für mich entwickelte – schöneren, verführerischeren Gesang zu produzieren.“

„Ich liebe die erste Platte, aber ich kann sie nicht mit der neuen vergleichen“, bekennt Owen Pallett. „Diese hier ist viel risikofreudiger und die stilistischen Ausflüge wirken weniger abseitig. Es gibt viel mehr interessante Drehungen und Wendungen und die Texte haben mehr Tiefe.“ Pallett nimmt Abstand von bei Rockkritikern beliebten Gemeinplätzen wie „Reife“ und „Erwachsenwerden“ und zieht es vor, Everything You've Come to Expect im Kontext einer Veränderung zu sehen. „Menschen wie Alex und Miles – sie stellen ständig das Drehbuch auf den Kopf, versuchen nie, zweimal die gleiche Platte zu machen.“

„Wie wichtig ist es zurückzublicken?“, fragt Turner. „Ist es nicht spannender, anstatt an etwas – oder an der eigenen Wahrnehmung von etwas – festzuhalten, zu versuchen loszulassen und zu erforschen, was vor dir liegt, ungeachtet des grünen Safts und der Palmen?

Für Owen Pallett bleiben die Last Shadow Puppets eine Art „Ferienheim“ für Kane und Turner, ein Ort wo sie – in Zusammenarbeit mit Bassist Zach Dawes und Drummer/Produzent James Ford – „loslassen und ein bisschen Spaß haben können“.

„Der Sinn und Zweck von The Age of Understatement bestand darin, dass es keinen Plan gab“, reflektiert Kane. „Wir wussten noch nicht einmal, ob letztendlich ein Album dabei herauskommen würde. Heute ist es anders, weil wir beide andere Sachen gemacht haben und uns natürlich mit den Puppets auskennen. Trotzdem sind wir immer noch beste Freunde und das bleibt der Ausgangspunkt und der Kick dabei.“

The Last Shadow Puppets LIVE
27.06.2016 Köln, E-Werk
28.06.2016 Dresden, Schlachthof
23.08.2016 Berlin, Columbiahalle

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