Das Leben ist zu kurz
für eintönige Musik.

Platte der Woche

Coverbild: 
KW27 | 30.06. bis 06.07.2014

Silbo

Artist: 
Féloche
Erschienen: 
22.05.2014
Label: 
Ya Basta / Warner

Die Mandoline im Gepäck und sein unglaublich breites, ansteckendes Lächeln im Gesicht, ist Féloche schon extrem weit herumgekommen in der Welt – jedoch niemals als Tourist oder als gewöhnlicher Reisender: Ganz gleich, wo dieser Mann aufschlägt, wird er wärmstens empfangen und knüpft im Handumdrehen neue Freundschaften. Binnen kürzester Zeit ist er mit den Einheimischen auf Augenhöhe, verwandelt sich selbst in eine Art Local, ganz egal, ob er nun auf La Gomera, in New York City, in der Ukraine, Rumänien oder im französischen Argenteuil vorbeischaut. Die Menschen öffnen sich ihm gegenüber, weil er sie anlächelt und letztlich dasselbe tut: In seinen Songs erzählt er Anekdoten aus dem eigenen Leben, spitzt die Lippen und legt los, und alles über einen Vintage-Klangteppich, in dem dreckiger Rock auf eingängigen Flow und satte Beats trifft.

Für die Aufnahmen zu seinem zweiten Album hat Féloche etliche seiner persönlichen Helden um sich versammelt und verknüpft die unterschiedlichsten Einflüsse mit Erlebtem, Geträumtem, Gepfiffenem – daher auch der Titel Silbo.

Silbo heißt nämlich auch die Pfeifsprache der Ureinwohner von La Gomera, die auf der Kanareninsel tatsächlich auch heute noch verwendet wird, um über die Bergspitzen hinweg miteinander zu kommunizieren. Die UNESCO hat diese einzigartige Sprache schon vor Jahrzehnten als immaterielles Weltkulturerbe der Menschheit eingestuft. Féloche hat sie einst von seinem Stiefvater gelernt, dem Separatisten Bonifacio Santos Herrera, der ihm obendrein auch noch die Liebe zu La Gomera in die Wiege legte, jener kleinen Insel, von der er einst vertrieben wurde. Als 11-Jähriger brach Féloche schließlich auf, um diese Insel auf eigene Faust zu erkunden: Eine Reise, die ihn für immer verändern und sein weiteres Leben durch und durch prägen sollte. Der Titelsong des neuen Albums, ursprünglich nur als eine Art persönliche Verneigung gedacht, sorgte jedoch schon bald für Furore: Etlichen Radio-DJs in Frankreich war der emotionale Tiefgang dieses Stücks keinesfalls entgangen, und so spielten sie den Track schon bald rauf und runter. Bald darauf breitete sich das „Silbo“-Fieber noch weiter durch den Mittelmeerraum aus, und auf La Gomera hätte das Echo kaum lauter sein können: Die Zeitungen berichteten davon, die Nachrichtensendungen auch, und selbst in den Schulen (bis in die Oberstufe, um genau zu sein) wurde der Track diskutiert. Ganz La Gomera feierte die musikalische Verneigung vor ihrer Kultur und das im Song umrissene tragische Schicksal von Bonifacio.

Wie anständiger Flow zu klingen hat, hatte sich Féloche schon als Kind bei Roxanne Shanté abgeschaut, der Mutter des New Yorker Raps (als Teil der Juice Crew!). Mit der weiblichen Rap-Legende jedoch gemeinsam einen Track aufzunehmen, hatte er stets als unrealistische Träumerei abgetan – bis er sie dann doch noch als Feature-Gast für den neuen Track „T2Ceux“ gewinnen konnte. Auch Rona Hartner für eine Aufnahme zu gewinnen dauerte seine Zeit. Ähnlich wie beim Film „Gadjo Dilo“ von Tony Gatlif, war er auf sie gestoßen, als er gerade auf der Suche nach neuen Sounds war: Auf Silbo singt sie nun das von Balkanklängen durchzogene „Mythologie“ an seiner Seite. Im Fall von „Je Ne Mange Past 6 Jours“ ist es Oleg Skrypka, der Sänger der ukrainischen Kult-Institution VV, der ans Mikrofon tritt, während der in Richtung Dance-Sound gehende Beat massiv und treibend und romantisch zugleich klingt. Der Titel des Stücks ist in Russland und der Ukraine inzwischen zur bekanntesten französischen Redewendung avanciert – und kein Wunder, schließlich war Féloche vor einigen Jahren in dieser Region mit VV auf Tour unterwegs.

Klassische Gitarrensounds haben auf Silbo übrigens nichts verloren: Stattdessen setzt Féloche in seinen energiegeladen-verträumten Tracks immer wieder auf die Mandoline, die in seinen Händen mehr Gefühl versprüht als jedes andere Instrument. Für „NYC: ODC“ benutzt er sie sogar, um die Begriffe Disco, Techno und HipHop unter einen Hut zu bringen und an die Art von Funk-Sound anzuknüpfen, die Prince in den Achtzigern gemacht hat; auf „Mémoire Vive“ trifft die Mandoline daraufhin auf ein Klavier à la „Honky Tonk Women“ (von den Stones). In jedem dieser Fälle gilt: Sein Mandolinenspiel ist mindestens so aussagekräftig und poetisch wie die Texte, die auf Silbo zu hören sind.

Für den Song „A La Légère“ hat sich Féloche schließlich sogar den einfach nur verrückt klingenden Traum erfüllt, mit einem richtigen Mandolinenorchester zu arbeiten: Er brachte insgesamt 64 Mandolinenspieler zusammen, 7 bis 87 Jahre alt, und allesamt von der Estudiantina d’Argenteuil. Gemeinsam mit ihnen hat Féloche ein Stück geschaffen, bei dem selbst das Wort „unvergleichlich“ ausnahmsweise nicht übertrieben klingt. Insgesamt schafft es Féloche mit der expressiven und eklektischen Sprache von Silbo, das Versprechen einzulösen, das er schon mit La Vie Cajun, seinem Erstling, gemacht hatte: Musik jenseits von Genres und Ländergrenzen zu machen, leicht und lebensfroh, die sich gleichwohl immer wieder den französischen Humor auf die Fahne schreibt. Und da er ein absoluter Perfektionist ist und auf jedes noch so kleine Detail achtet, bleibt ihm selten Zeit zum Durchatmen: Ausnahmslos jeden Aspekt seiner Musik – den ästhetischen Ansatz, das Erforschen neuer Regionen, das Humoristische, Politische, die Metaphern seiner Songs – geht er mit demselben Enthusiasmus und derselben Offenheit an.

Und da seine diversen Gäste inzwischen wieder abgereist sind, ist Féloche momentan dabei, die neuen Songideen für die anstehenden Konzerte umzugestalten, wobei ihm wieder einmal seine Mitstreiter Caroline Daparo, Christophe Malherbe und David Rolland zur Seite stehen. Man darf jetzt schon gespannt sein auf die Umsetzung: Live hört man sein Lächeln nämlich nicht nur, sondern kann es dazu auch noch sehen.

Tracklisting:
Silbo
T2Ceux (feat. Roxanne Shanté)
NYC:ODC
Mythologie (feat. Rona Hartner)
A la légère
Pax Optika
Je ne mange pas 6 jours (feat. Oleg Skrypka)
Ô loin
On va ouH
L’Origine
Mémoire vive

Bonustracks (auf der Digital Deluxe-Edition enthalten):
Es El Silbo Gomero
Silbo (Solal Remix)
Dans la rue (Cover)

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