Das Leben ist zu kurz
für eintönige Musik.

Platte der Woche

Coverbild: 
KW12 | 17.03. bis 23.03.2014

War Room Stories

Artist: 
Breton
Erschienen: 
06.02.2014
Label: 
Cut Tooth/ Believe Recordings

„Von der Verantwortung eines Künstlers zu sprechen ist echt abgedroschen und alles andere als cool, aber wenn man nun mal sagt, ‘Hört euch 40 Minuten lang an, was in mir vorgeht’, dann bedeutet das doch automatisch, dass man sein ganzes Selbst und sein ganzes Leben in diese Sache investieren muss...“

Als sich Breton vor einigen Jahren erstmals aus ihrer multifunktionalen Kreativ-Homebase in South London, den BretonLabs, zu Wort meldeten, sorgten sie schon deshalb für Furore, weil sie in mehrerer Hinsicht in keine Schublade passen wollten: War das nun eine Band, die nebenher experimentelle Filme produziert? Oder war’s andersherum: Ein Film-Kollektiv, das zufällig auch noch die Soundtracks gleich mit aufnahm? Und was für ein Genre sollte das bitteschön sein?! Auch wenn ihre ersten EPs und das gefeierte Debütalbum vom letzten Jahr, „Other People’s Problems“, sie inzwischen wohl offiziell als Band abstempeln, sollte man sich vielleicht einfach oben zitiertes Statement von Roman Rappak anschauen, dem aus Polen stammenden Sänger und Songwriter der Band, um den Ansatz von Breton zu verstehen: Gemeinsam mit Adam Ainger, Ian Patterson, Ryan McClarnon und Daniel McIlvenny hat sich Rappak zur Aufgabe gemacht, „sein ganzes Selbst und sein ganzes Leben in diese Sache“ zu investieren – wobei „diese Sache“ im Fall von Breton nun mal nicht nur für die Ohren gemacht ist, sondern immer auch für die Augen (und die Nackenhaare).

Ein Ansatz, der ihnen schon diverse spannende Kollaborationen beschert hat: Nach den eigenen Kurzfilmen, steuerten sie wenig später schon Video- und Sound-Design für Leute wie The Temper Trap, Penguin Prison, Sinéad O’Connor und Tricky bei und übernahmen Remix-Jobs für Local Natives, Alt-J und Lana Del Rey. Parallel dazu zeigten sie mit ihren ersten EP-Veröffentlichungen – „Sharing Notes“ (2010), „Practical“ (2010) und „Counter Balance“ (2011) – bereits, wohin die Reise musikalisch gehen sollte...

Nachdem die 2012 veröffentlichte EP „Blanket Rule“ dann auch von großen UK-Medien wie dem Guardian und dem NME gefeiert wurde, machte ihr in den eigenen Labs aufgenommenes, im März 2012 veröffentlichtes Debütalbum „Other People’s Problems“ (dort zierte das Cover ein Foto eines Plattenbaus aus Berlin) die Band endgültig zu Kritikerlieblingen: „Beiläufige Brillanz“ (NME) und „mass appeal nach ganz eigenen Regeln“ (BBC Music) lauteten unter anderem die Argumente, die ihren Ruf als eine der spannendsten Newcomer-Bands des letzten Jahres zementierten.

Ein randvoller Tour-Kalender sowie diverse Festival-Gigs hielten sie während der nächsten 12 Monate ordentlich auf Trab, und dann, Anfang 2013, zogen sich Breton vorerst wieder zurück, um ihren zweiten Longplayer aufzunehmen – allerdings waren die BretonLabs inzwischen Geschichte (genauer: Schutt und Asche). Ihr zweites Album „War Room Stories“ haben Breton daher in Berlin, im alten Funkhaus, dem einstigen Sitz des DDR-Rundfunks, aufgenommen...

„Ja, uns wurde plötzlich eröffnet, dass unsere Labs abgerissen werden sollten – und da standen wir natürlich erst mal verdammt planlos da. Irgendwann haben wir uns dann jedoch gefragt, was denn eigentlich die Labs so besonders gemacht hat für uns“, setzt Rappak an, wenn man ihn auf die Wahl des neuen Aufnahmeortes anspricht. „Die Antwort lautete: Es war halt ein Ort, der sich einfach schräg angefühlt hat, wie eine ganz andere Welt, weil man dort so abgeschieden war. Na ja, schließlich hörten wir von diesem riesigen Studiokomplex irgendwo in Berlin, packten also alles in unseren Van und fuhren los.“ Ursprünglich eine Notlösung also, die sich jedoch als perfekte Wahl entpuppte, weil ungemein inspirierend: Fernab von mit Hipstern überlaufenen Ecken und sonstigen Ablenkungen, konnten Breton auch hier in eine Art Parallelwelt eintauchen und ungestört ihren Klangexperimenten nachgehen, denn auch in Berlin stießen sie schon bald auf diverse Soundschnipsel und andere Fundstücke. Die letzten Sekunden des Abschluss-Tracks „15 Minutes“ basieren z.B. auf einer Aufnahme aus einem überwucherten Teil des Gebäudes, den die Natur – diverse Insekten und anderes Getier – längst zurückerobert hat. Im Verlauf der insgesamt 10 Tracks stößt man auf etliche derartige Fundstücke, eigentümliche Effekte oder auch Gesprächsfetzen, die das geschichtsträchtige Funkhaus hinter jeder zweiten Ecke bereitzuhalten schien...

Allerdings entstand „War Room Stories“ keinesfalls in totaler Abgeschiedenheit, denn Albumgäste spielen dieses Mal eine sehr viel größere Rolle als zuvor: „Closed Category“ basiert zum Beispiel auf Auszügen aus einem Gespräch mit John Bloss, einem Freund der Band, der „Friedensaktivist, Ex-Junkie und der unglaublichste Geschichtenerzähler überhaupt ist“, wie Rappak berichtet. Auf „Search Parties“ ist Sam Lynham von der Neunziger-Post-Punk-Combo Gramme am Mikrofon zu hören, während bei „Brothers“ sogar ein ganzer R&B-Chor mitsingen darf – dazu tauchen auch immer wieder Streicher auf dem neuen Album auf.

Dass Breton sogar noch routinierter darin geworden sind, Genregrenzen zu ignorieren, hört man gleich zu Beginn: „Envy“, der erste Song des Albums, dürfte der vielleicht „poppigste“ Track sein, den die fünf Briten je aufgenommen haben, und „Got Well Soon“, die erste Singleauskopplung (samt Killer-Video natürlich), vereint massive Synthie-Sounds im Glitch-Modus mit einem wabernden Beat, während das im Hall ertränkte Klavier von „Brothers“ irgendwie episch und zurückhaltend zugleich klingt. Auch Spuren von HipHop, Electronica, Indie und diversen anderen Genres schimmern immer wieder durch, was es um so überraschender macht, dass die Songs von „War Room Stories“ trotzdem kein bisschen sperrig oder unzugänglich wirken.

Eine ähnliche Grätsche gelingt Breton auch visuell, denn Videos, Artwork & Co. genießen bei ihnen bekanntermaßen denselben Stellenwert wie die Musik selbst: Der in blauem Nagellack ertränkte Schmetterling, der das Albumcover ziert, oder das ähnlich präparierte Spielzeug auf dem Singlecover von „Got Well Soon“ sind ebenfalls Fundstücke, die sie am Wegesrand aufgelesen haben: „Dieser Schmetterling, einerseits also ein wunderschönes Wesen, aber andererseits ist er natürlich längst tot und wurde mit diesem fies-schillernden Nagellack übergossen: Wenn du mich fragst, steckt da alles Schöne und alles Schreckliche drin, alles, was aufregend ist, aber eben auch alles, was deprimierend ist“, sagt Rappak abschließend. „Genau das zeichnet auch dieses Album aus: Wie der ertränkte, tote Schmetterling, übergossen mit kitschigem Nagellack, verhandelt die LP immer mehrere Aspekte gleichzeitig und vereint das ganze Für und Wider.“

Für Breton ist es zugleich der Beweis, dass es auch ohne angestammte Labs weitergehen kann – vorausgesetzt natürlich, dass man sein ganzes Leben in diese Sache investiert...

Breton on Tour:
20.02.14 Köln - MTC
24.02.14 Hamburg - Uebel&Gefaehrlich
26.02.14 Berlin – Privatclub

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