Das Leben ist zu kurz
für eintönige Musik.

Platte der Woche

Coverbild: 
KW 23 05.06. - 11.06.2017

Off The Radar

Artist: 
Noga Erez
Erschienen: 
01.06.2017
Label: 
City Slang/Universal

Wer einen Blick auf die Welt haben will wie sie ist, darf sich auch ganz weit von ihrentfernen, ganz hoch hinausgehen. Auf ein Dach, das über der Stadt Tel Aviv liegt,beispielsweise. Dort sind Noga Erez und ihre beiden Mitstreiter im Video zum Track “Toy” zu sehen - mit ihren Moves zu schweren Bass-Beats, begleitet von einem irritierendtheatralischen Gesang aus dem Off, der vom Synthesizer stammen könnte (oder einem Synthesizer, der sich in die Oper verirrt hat). “Toy” ist die Ballade von der Macht, von Machtmissbrauch, von ungerechter Vererbbarkeit von Macht. Noga singt „I wear a crown, with my head down“ aus der Perspektive des Mächtigen, der sich hat verbiegen lassen. Sein „Toy“ tanzt jetzt den Untertanen auf der Nase herum und Noga Erez gibt beiden ein paar Kicks mit den Springerstiefeln auf den Weg - das Video wurde am internationalen Frauentag 2017 veröffentlicht.

Nach “Dance While You Shoot” und “Pity” ist “Toy” das dritte starke Statement, das die Künstlerin aus Tel Aviv im Vorlauf zu ihrem Debütalbum in die Welt setzt. „Mit der Musikhabe ich mich an der Realität abgearbeitet, auf eine ganz natürliche Weise“, sagt sie. „Ich kann das, was um mich herum passiert, nicht ignorieren.“ Damit meint die im Jahr 1990, nur ein paar Tage vor dem Beginn des Golfkrieges, geborene Musikerin natürlichihre Heimat Israel, die tägliche Gewalt und den Terror, vor allem an den Grenzen. Wir hier sprechen vom „Nahostkonflikt“, der eine gefühlte Ewigkeit zu unserem Tagesschauprogramm gehört, von Verstehen kann da keine Rede sein.

Noga Erez veröffentlicht mit “Off The Radar” kein „Begleitbuch“ zu diesem Konflikt, aber sie reflektiert ihre Situation in der politisch aufgeheizten Umgebung in vielen der zehn Tracks und fünf Interludes. Sie ist sich ihrer privilegierten Stellung bewusst - als Künstlerin in einer Stadt wie Tel Aviv, die sie als vergleichsweise liberal beschreibt. Man kann das in der brüchigen R’n’B-Ballade “Worth None” nachhören - in der Schilderung eines sehr persönlichen Moments. „Ich liege im Bett mit dem Gefühl von Sicherheit. So sicher und beschützt sind andere nicht. Ich kann glücklich sein, weil ich ein Dach überdem Kopf habe, was für andere nicht gilt“, erzählt Noga Erez. „Der Song entstand auseinem schweren Schuldgefühl heraus, das sich einstellt, wenn man vergleicht. Das ist ziemlich abgefuckt.“

„Die Stimme ist mein erstes Instrument gewesen. Sie ist auch das intuitivste Instrument. Es hat aber lange gedauert, bis ich verstanden habe, was ich an einem Sänger mag undwie ich meine eigene Stimme finden kann.“ In diesem Prozess begleitet hat sie ihr heutiger musikalischer Partner und Co-Produzent Ori Rousso.„Seine Art Musik zubetrachten, veränderte mich auf radikale Weise. Mit ihm habe ich Unabhängigkeit und Partnerschaft kennengelernt. Das scheinen zwei sich gegenüberstehende Dinge zu sein, in unserem Fall aber sind sie dasselbe.“

“Off The Radar” ist ein Dokument der Unabhängigkeit geworden, ein fulminantes Debüt, kraftvoll strahlend, heftig schmerzend und in jedem Moment auf dem Sprung in eineandere, neue Bedeutung. Noga Erez wird uns dieses Jahr nicht mehr loslassen, sie definiert gerade ein Stück weit den Sound der Zeit inmitten von politischen Bestandsaufnahmen. Das ist Pflicht für den Pop 2017. (Quelle: welthit)

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