Der beste Verlierer
Es ist so weit: Wir können wieder gleichzeitig Tränen in den Augen, einen Kloß im Hals und ein Lächeln im Gesicht haben. Denn Enno Bunger hat ein neues Album gemacht. Ein Album über die Dualität der Welt und das Menschsein. Ein Album über Fehlbarkeit, Zerrissenheit und die Suche nach Antworten. Ein Album darüber, wie man seinen Weltschmerz kanalisieren kann, um nicht durchzudrehen. Das aber gleichzeitig viel Mut macht, weil es beweist, dass man als (nach)denkender Mensch nicht allein ist, wenn man sich mit den dringenden Fragen der Zeit beschäftigt. In den Worten sehr nah an den gesellschaftspolitischen und privaten Themen, in der Musik groß, raumgreifend und so einnehmend, dass man am Ende dieses Albums fast automatisch auf Repeat drückt. Ein Album voller Intensität, das beschreibt, wie kompliziert es ist, heutzutage ein Mensch zu sein, der bemüht ist, gerade, aufrecht und voller Haltung zu sein. Wer Enno Bunger schon länger verfolgt - ein Ostfriese, der als Barpianist und Kirchenorganist begann und seit nunmehr vier Alben seine kompositorische und textliche Ausnahmestellung immer wieder neu beweist -, weiß um diese Dringlichkeit. Kaum ein deutscher Künstler nutzt seine öffentliche Reichweite derart konsequent, um auf Missstände und Lösungsansätze hinzuweisen. Dies aber nie mit dem erhobenen Zeigefinger des Besserwissers, sondern stets formuliert als Anregung und Aufforderung, nicht zuletzt an sich selbst.Nachdem Bungers bislang letztes Album „Was berührt, das bleibt“ von 2019 aufgrund der privaten Umstände außerordentlich persönlich geriet, „hatte ich dringenden Nachholbedarf, in den neuen Songs den Blick auf aktuelle gesellschaftliche Themen zu lenken“, sagt er. „Ich hatte einfach Lust darauf, eine musikalisch groß angelegte, gesellschaftsbetrachtende Platte zu machen.“ Bereits der erste Vorbote des Albums, das bereits veröffentlichte, ebenso (be)rührende wie augenöffnende Klavierstück „Kein Mensch startet einen Krieg“, eine Momentaufnahme des Ukraine-Kriegs aus der Sicht eines Schulkindes zeigte auf, mit welcher Verve und nachgerade poetischen Eloquenz sich Enno Bunger mit den Konflikten unserer Zeit auseinandersetzt. Das Lied, das weitaus mehr an politischen Chanson im Geiste eines Konstantin Wecker angelehnt scheint, als dass es aktuelle Pop-Strömungen aufgreift, fällt auf „Der beste Verlierer“ stilistisch ein wenig aus dem Rahmen. Denn die weiteren Songs, textlich und musikalisch wie auch schon beim Vorgängeralbum stets gemeinsam erarbeitet mit der Songwriterin Sarah Muldoon, strahlen eine ästhetische Wucht und ein Gespür für feine klangliche Details aus, dass dieses Album bereits ohne die bedeutungsvollen Texte zu einer der spannendsten und abwechslungsreichsten deutschen Veröffentlichungen des Jahres zu zählen ist.Die Musik ist - um es mit Ennos Worten zu sagen - „auf diesem Album wieder ein bisschen anders. Also so, wie auf jedem neuen Album von mir“, lacht er. Und wie schon immer auch beeinflusst von dem, was Enno selber privat gerade hört. Überraschte der passionierte HipHop-Hörer auf den letzten Alben zunehmend mit richtigen Rap-Passagen in den Strophen, fehlt der Sprechgesang auf dieser Platte nahezu komplett. Es passt wohl auch einfach nicht zu der Klangästhetik, die er für dieses Album vorsah und die er mit seinem bereits bewährten Team von Musikern um sich herum erarbeitete. Orientiert hat er sich dafür, sagt er, an Größen zwischen Bruce Springsteen, The National, den frühen The Killers sowie einigen Wavepop-Größen der Achtzigerjahre. Mehr denn je hat er sich dafür eines Instrumentes bedient, das für viele andere die Grundlage von allem ist, bei ihm auf den ersten beiden Alben aber überhaupt nicht auftauchte, danach erst peu à peu Einzug in seinen Klang hielt und auf dieser Platte nun zum ersten Mal oft das kompositorische Geschehen dominiert: die Gitarre.
Die raumgreifende Weite des Klangs steht zeitweise in einem herrlichen Kontrast zu den verhandelten Themen - sie lenkt dabei aber nicht ab, sondern macht den Inhalt nur umso konturschärfer. Dabei drängten sich diese Inhalte ihm förmlich auf: „Es ist so viel los in der Welt, es gibt so viele Ereignisse, die nicht nur mich, sondern wahrscheinlich die meisten von uns bewegen, dass ich nach den Themen für meine Songs nicht lange suchen muss - die sind ja alle schon da. Ich gehe mit offenen Augen durch die Welt und betrachte Stimmungen und Tendenzen in der Gesellschaft, die mir teilweise Sorgen machen. Diese Sorgen in gewissermaßen „warmer“ Popmusik zu besingen, scheint mir ein guter Weg, um erstmal selbst damit umgehen zu können und natürlich auch, um im Idealfall Menschen zu sensibilisieren. Musik ist ein guter Weg, abstrakte Gefühle greifbarer werden zu lassen. Lieder können Brücken bauen zur empathischen Ebene, können bestärken, Halt und Hoffnung geben, können Verbundenheit zu Fremdem aufbauen.“Es ist zweifellos ein dünnes Eis, sich solcher Themen in Musik zu bemächtigen, die im weiteren Sinne der Popmusik zuzurechnen ist. Allein: Enno Bunger tanzt auf diesem Eis mit einer Gelassenheit und zugleich sprachlichen Präzision, dass man nur staunen kann. Keine einfachen Phrasen, Parolen oder Polemiken, sondern wohlgesetzte Worte, die bei aller Melancholie und Gewichtigkeit über den Zustand der Gesellschaft häufig auch ein Lächeln erlauben. Selbst ein derart existentielles globales Thema wie der Klimaschutz lässt sich satirisch beschreiben (wenn man es denn kann): „Mit heiteren Mienen / Vertrösten wir uns / Wer vermisst auch schon Bienen / Solang’ die Wirtschaft noch brummt / Doch von dem, was wir schützen / Ist sogar ein Tier dabei / Lebt auf dem Land und in Flüssen / Nennt sich Leopard 2“ singt Enno in „Grasgelb“. „Fragst Dich Dein liebes Leben lang / ‚Schreib’ ich, fahr’ ich, ruf’ ich an?‘ / Und bewegst Dich nicht vom Fleck / Keine Lösung, kein Problem / Erzähl’ mir nicht, es sei bequem / Mit den Monstern unterm Bett“ heißt es dagegen in „Nie zu spät“, einem Aufruf, die Dinge mal selber in die Hand zu nehmen, statt vom Sofa aus den Unbill der Welt einfach hinzunehmen. Denn bei allen finsteren Aussichten verpasst Enno es nie, die Hoffnung, das Lebenswerte und das Licht in den Vordergrund zu stellen. Denn nicht Resignation und (Selbst)aufgabe kann der Weg sein, sondern nur das Erkennen all dessen, was das Individuum dazu beitragen kann, die Dinge, die einen umtreiben, beschäftigen und verstören, zu einem Besseren zu verändern. Und dies eben nicht nur im Gesellschaftlichen, sondern auch im ganz Persönlichen - wie etwa „Ich sehe was, was du nicht siehst“, in dessen Refrain es heißt: „Ich sehe was, was Du nicht siehst / Und das ist schwarz, zu lange schon / Ich habe was, was Du nicht siehst / Ich habe Depressionen“. Wurde die neue mentale Volkskrankheit je präziser mit so wenigen Worten beschrieben?
Ich mag es, gerade bei schwereren Themen auch ein wenig mit Humor oder Zynismus zu arbeiten, um sehr traurige Dinge so zu brechen, dass man kurz schmunzeln muss, bevor man merkt, wie bitter die Tragik dahinter eigentlich ist“, sagt Enno. „Mir ist es wichtig, dass man, wenn man schon derart herausfordernde Themen besingt wie Klimakrise, Depressionen, Suizidgedanken, Krieg oder auch die Frage, ob man heute noch Kinder in die Welt setzen kann und möchte, nicht einfach sagt, dass alles einseitig, monoton, schlecht und ausweglos ist. Dann bräuchte ich gar nicht darüber singen, dann könnte ich es gleich bleiben lassen. Mir geht es vielmehr darum, einen gedanklichen und emotionalen Raum zu öffnen, in dem man sagen kann: Hey, es gibt immer Hoffnung, es gibt immer eine Chance, etwas zu verbessern. Doch dazu muss man zunächst einmal die Missstände auch deutlich benennen, denn nur dann kann man auch lösungsorientiert an ein Problem herangehen.“Dass „Der beste Verlierer“, Enno Bungers nunmehr fünfter Longplayer und nach drei Alben für PIAS und einem für Columbia/Sony das erste, das er auf seinem frisch gegründeten eigenen Label „ennorm records“ veröffentlicht, so wurde, wie es sich jetzt präsentiert, ist damit alternativlos für einen bewussten und nachdenkenden Künstler wie ihn. Denn, so sagt er: „Die Zeit drängt. Sie drängt bei allen Themen gleichermaßen, die ich auf der Platte verhandele. Mein Eindruck ist, dass manche Menschen die Tragweite ausblenden, aus der Angst heraus, darin eine Wahrheit zu erkennen, mit der man am liebsten gar nicht erst konfrontiert werden möchte. Ich möchte versuchen, diese Themen ins Emotionale zu übersetzen, um die Hörer meiner Songs auf diese Weise hoffentlich besser zu erreichen und dazu zu bewegen, selber in Aktion zu kommen.“Damit dürfte wohl hinlänglich erklärt sein, warum diese großartige Platte, diese Sammlung von zwölf Titeln, von denen jeder einzelne ebenso richtig wie wahr ist, eine der wichtigsten Veröffentlichungen in der aktuellen deutschen Musiklandschaft ist. Und warum Enno Bunger, der zwar nicht unzufrieden ist mit seiner bislang erreichten Popularität, der aber dennoch noch immer aus unerklärlichen Gründen unterhalb des Radars der breiten Masse agiert, mit diesem Album nun endlich in die Bundesliga der deutschen Liedermacher gespült werden muss.
01 | Weltuntergang (Alles hört auf) |
02 | Bunker |
03 | Einfache Leute feat. Sebastian Madsen |
04 | Grasgelb |
05 | Ich sehe was, was Du nicht siehst |
06 | Heute nicht |
07 | Nie zu spät |
08 | Kein Mensch startet einen Krieg |
09 | Kinder feat. Lina Maly |
10 | Häuserzeilen pt. 1 |
11 | Häuserzeilen pt. 2 |
12 | Häuserzeilen pt. 3 |
07.03.24 | Kiel, Die Pumpe |
08.03.24 | Essen, Zeche Carl |
09.03.24 | Hannover, Pavillon |
11.03.24 | München, Ampere |
13.03.24 | Berlin, Festsaal Kreuzberg |
15.03.24 | Frankfurt, Mousonturm |
17.03.24 | Mannheim, Alte Feuerwache |
19.03.24 | Stuttgart, Im Wizemann Club |
20.03.24 | Köln, Bürgerhaus Stollwerck |
21.03.24 | Osnabrück, Rosenhof |
22.03.24 | Hamburg, Grosse Freiheit 36 |
24.03.24 | Bremen, Schlachthof |
25.03.24 | Leipzig, Täubchenthal |
26.03.24 | Jena, Kassablanca |
27.03.24 | Dresden, Tante Ju |